Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Hals ausschalten können.
Der kleinere Mönch zog sich zurück, der größere stand auf, und sie verneigten sich erneut voreinander. Als Lan Shun sie entließ, eilten sie schweigend davon.
Alle mit Ausnahme von Hsiung Ming starrten mit großen Augen. »Was zur Hölle war das?«, fragte Gabriel nach einer Weile.
»Shaolin Kung Fu«, erklärte Hsiung Ming, und Lan Shun nickte zustimmend. »Eine alte Kunst der Selbstverteidigung, bei der die Mönche die magische Körperenergie nutzen. Ich beherrsche das ebenfalls.«
»Das will ich auch lernen«, sagte Gabriel.
»Ich auch«, verkündete Thalia gleichzeitig mit Bennett.
»Und ich auch«, schloss sich Catullus an.
»Das dauert viele Jahre«, sagte Lan Shun. »Die wir nicht haben. Aber ihr tragt die Last, den Kessel zu beschützen, nicht allein auf euren Schultern.«
»Wie viele Mönche leben hier?«, fragte Gabriel.
»Mit mir zusammen sind es dreiundfünfzig.«
»Besitzt ihr auch irgendwelche Waffen, oder seid ihr nur im Nahkampf trainiert?«
»Speere und kurze Schwerter. Ich bewahre den Schlüssel für den Waffenschrank auf.«
Gabriel nickte. »Wir müssen einen sicheren Ort für den Kessel finden.«
»Er wird seinen Teil beitragen«, erwiderte Lan Shun.
Woraufhin Thalia fragte: »Werden Sie seine Magie nutzen?« Als Lan Shun nickte, drehte sie sich zu Catullus um. »Ist das den Klingen der Rose erlaubt?«
»Der Ehrenkodex der Klingen der Rose verbietet ihnen, Magie zu nutzen, die ihnen nicht gehört. Die eigentlichen Besitzer der Quelle dürfen das jedoch«, antwortete er.
Neugierig fragte Thalia Lan Shun: »Was kann er?«
»Wie ich schon sagte, er wird seinen Teil beitragen.« Mehr verriet der Abt nicht.
»Können Sie uns etwas über ihn erzählen?«, fragte Catullus. »Wofür er angefertigt wurde, wie alt er ist?«
Lan Shun trat, gefolgt von den anderen, vom Hof in ein kleineres Gebäude, in dem bis unter den Dachfirst Schriftrollen lagerten. Eine Bibliothek. In dem Raum roch es nach Tinte, und man meinte das Wispern alten Wissens zu hören. Obwohl Thalia kein Chinesisch lesen konnte, hätte sie gern ein paar Stunden bei den Schriftrollen verbracht und der Kraft der Worte nachgespürt. Lan Shun sprach mit dem Mönch, der die Bibliothek führte. Daraufhin nahm der Bibliothekar eine Leiter und kletterte an der Wand hinauf. Ganz oben befand sich ein verschlossener Schrank, den der Bibliothekar mit einem Schlüssel öffnete, den er an einem gelben Seidenband um sein Handgelenk trug. Er holte eine empfindliche, an den Rändern bereits brüchige Rolle aus dem Schrank und brachte sie vorsichtig hinunter zu Lan Shun.
Ehrfürchtig breitete der Abt die Rolle auf einem Tisch aus. Mit kleinen, detailreichen Zeichnungen waren chinesische Figuren dargestellt. Auf der ersten stand ein Mann mit ausgebreiteten Armen unter nächtlichem Himmel. »Das Kung Fu, das ihr soeben gesehen habt, ist Teil unseres Glaubens. Wir sind davon überzeugt, dass wir Chi, die Energie des Körpers, lenken können. Chi existiert nicht nur im menschlichen Körper, sondern in allem Lebenden.« Er hob den Kopf, um zu sehen, ob einer der Fremden oder der westlichen Besucher seinem Gedanken widersprach, doch von den Klingen der Rose würde er kein Argument gegen die Theorie der lebenden Energie hören. Selbst Gabriel schien die Idee bereitwillig zu akzeptieren. Thalia lächelte still vor sich hin. Auch wenn er sich im Kern treu geblieben war, hatte er sich seit ihrer ersten Begegnung vor einigen Wochen stark verändert.
»Vor über tausend Jahren«, fuhr Lan Shun fort, »wollte ein Mann namens Po Tai so viel Chi wie möglich in sich vereinen.«
»Wozu?«, fragte Thalia.
»Po Tai war nicht der erste und auch nicht der letzte Mensch, der nach Macht gierte«, antwortete Lan Shun. »Mithilfe vieler verbotener Rituale hat er versucht, Chi zu sammeln.« Er deutete auf die nächste Zeichnung, die einen vor Energie glühenden Mann zeigte. Allerdings wirkte er nicht triumphierend, sondern beugte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht nach vorn und umklammerte seinen Körper. »Es hat seinen Grund, wieso niemand so viel Chi für sich beanspruchen sollte. Das Chi hat ihn vernichtet. Doch als Po Tai ausgelöscht war, verschwand das Chi nicht einfach wieder im Universum.«
Die nächste Zeichnung zeigte eine Art Tier, das aus vielen anderen Tieren bestand und über die hohen Gipfel der chinesischen Berge tobte, während winzige Menschen vor ihm flohen. »Das Chi war nicht aufzuhalten. Schließlich trug der
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