Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Kaiser den Mönchen dieses Tempels auf, einen Weg zu finden, es einzufangen.« Eine weitere Zeichnung zeigte eine kleine Armee von Mönchen in leuchtenden Kleidern, die mit geschlossenen Augen das Tier umringten und sangen. »Es ist ihnen gelungen, das Chi an einen Gegenstand zu binden, doch kamen dabei fast alle ums Leben. Um sicherzustellen, dass niemand je wieder versucht, das gesammelte Chi für eigennützige Ziele zu missbrauchen, hat man es in einem möglichst einfachen Gegenstand eingeschlossen und diesen aus den simpelsten Materialien hergestellt.«
»Einen Teekessel«, folgerte Altan.
Thalia sah ihn überrascht an. »Woher weißt du das?«
Der Anführer der Banditen lächelte. »Ich habe ein Gespür für Wertvolles. Ihr habt das Ding wie einen Schatz getragen. Daran habe ich es gemerkt.«
Lan Shun nickte und deutete auf die letzte Zeichnung, die einen Mönch in einer Schmiede zeigte. Plötzlich erkannte Thalia darin die Szene, die sie in der Dampfwolke gesehen hatte. Sie begegnete Gabriels Blick, auch er erkannte sie wieder. »Die Mönche behielten den Kessel hier«, Lan Shun rollte die Schriftrolle wieder zusammen, »und erforschten ihn, bis Dschingis Khan und seine Horde ihn mitnahmen. Sie wussten nicht, was sie da gestohlen hatten. Zum Glück, denn wenn Khan geahnt hätte, welche Kraft er besitzt, hätte er die Welt mit seiner Machtgier zerstört. Obwohl sich der Kessel über sechshundert Jahre nicht in unserem Kloster befand, gab ein Abt die Geschichten seiner Macht an den nächsten weiter. Für den Fall, dass er jemals ins Kloster zurückkehrt, haben wir alle gelernt, ihn zu beherrschen, damit niemand Schaden nimmt. Denn er kann großen Schaden verursachen.«
Thalia zitterte und drückte sich dicht an Gabriel; sie wollte seinen kräftigen Körper neben sich spüren. Gott, wenn die Erben an den Kessel gelangten, bedeutete das eine Katastrophe unfassbaren Ausmaßes.
»Wieso zerstört man den Kessel nicht einfach?«, fragte Catullus.
»Wenn das Chi einmal vereint ist, kann man es nicht mehr auflösen. Wir würden nur den Käfig des Chi zerstören. Das konzentrierte Chi wäre frei, und wir müssten es an einen neuen Gegenstand binden. Dann beginnt der Kreislauf von vorn.«
Alle schwiegen, dachten über diese Information nach und starrten auf den Kessel in der Hand Lan Shuns. Sehr seltsam. Er sah immer noch wie ein einfacher Kessel aus, mit dem man lediglich Tee kochen konnte. Unzählige Generationen hatten ihn genau dazu benutzt. Doch er besaß eine solche Macht, dass selbst die, die mit Magie vertraut waren – Bennett, Catullus und Hsiung Ming – ehrfürchtig wirkten. Thalia bedauerte, dass ihr Vater ihn nicht sah. Andererseits war sie froh, dass er sich weit weg in Sicherheit befand. Sollten die Erben wissen, wozu der Kessel in der Lage war, würden sie alles tun, ihn zu bekommen. Vielleicht musste sie mitansehen, wie ihre Freunde und der Mann, den sie liebte, starben. Erstarrt vor Angst legte Thalia ihre Arme um Gabriels Taille.
Anscheinend verstand er sie und zog sie an sich. Er fühlte sich stark und echt an. Sie musste darauf vertrauen, dass sie es zusammen schaffen konnten. Sie musste es glauben, denn die Alternative war unfassbar grausam.
»Wir sind genug herumgestanden und haben wie die Fischweiber getratscht«, sagte Gabriel in die Stille hinein. »Bereiten wir uns auf die Schlacht vor.«
18
DER ANGRIFF BEGINNT
Während sie die letzten von Catullus’ Brandsätzen vor der Klostermauer vergrub, wischte Thalia sich den Schweiß aus dem Gesicht. Nach dem Kriegsrat hatte sich Catullus sofort in den Raum b egeben, in dem Kräuter und Chemikalien zum Herstellen von Arzneien aufbewahrt wurden, und so lange herumgetüftelt, bis er zufrieden war. Obwohl er ihr erklärt hatte, wie die Kombination der Substanzen zu Explosionen führte, begriff sie die komplexen Reaktionen nicht ganz. Aber das war egal. Wichtig war nur, die Zahl der Erben und ihrer Söldner zu reduzieren.
Auf dem Schutzwall patrouillierten Wachen zum Schutz derer, die außerhalb der sicheren Mauern arbeiteten.
»Ich glaube, wir sind hier fertig«, sagte Thalia zu Catullus, der in der Nähe die Installation der Vorrichtung zum Durchtrennen der Steigleinen organisierte. Die Mönche spannten um die gesamte Klostermauer mit Chemikalien getränkte dicke Seile. Jedes Seil wurde in der Mitte der Mauer von Metallhaken gehalten.
Da es bereits Abend war, arbeiteten sie bei Fackellicht. Catullus überwachte sorgsam sein Werk.
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