Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
Guai «, keuchte Batu. »Tun Sie ihr nichts.«
»Ich tue ihr nichts«, zischte Gabriel und schob Batu zur Seite. »Ich versuche, sie zu beschützen .« Als der Erbe wieder aufstehen wollte, zielte er mit der Pistole auf ihn.
»Er meint nicht mich«, keuchte Thalia, während sie Gabriels Arm ergriff und seine Waffe zur Seite stieß. »Sie.« Sie deutete auf den Erben, während sie und Gabriel miteinander rangen. »Schau doch.«
Gabriel sah zu der Gestalt hinüber und erstarrte. Dort stand kein Erbe, sondern eine mongolische Frau. Als sie sich kichernd den Staub von den Kleidern klopfte, bestätigte ihre Stimme das Geschlecht. Gabriel bemerkte, dass ihr Gewand ihre Weiblichkeit verschleiert hatte. Durch die vielen an dem Stoff befestigten Bänder wirkte es noch üppiger. Silberne Amulette und Spiegel baumelten von Ärmeln und Saum herab sowie von der Lederschürze, die sie um die Taille gewickelt trug. Die Haare reichten der Frau bis auf die Schultern, und ihr Haarschmuck verdeckte den Großteil ihres Gesichts, sodass ihr Alter schwer zu schätzen war. Sie trug eine kleine, ebenfalls mit Bändern umwickelte Trommel bei sich, die blass im Mondschein glänzte, sowie einen Trommelstock mit einem geschnitzten Pferdekopf. Seit Gabriel sich in der Mongolei aufhielt, hatte er noch niemanden in so ausgefallener Kleidung gesehen.
»Eine Schamanin«, flüsterte Thalia Gabriel zu. Sie kamen beide auf die Füße. »Es gibt nicht mehr viele von ihnen, seit vor dreihundert Jahren der Buddhismus in der Mongolei aufkam.«
»Eine Art Hexe?«, fragte Gabriel.
Die Schamanin gab einen Schwall mongolischer Worte von sich, die Thalia schnell übersetzte. »Keine Hexe«, erklärte die Schamanin, und Gabriel fragte sich, wie sie seine englische Frage hatte verstehen können. »Eine, die mit der Welt der Geister spricht. Alles in der Natur hat seinen eigenen Geist, nicht nur Menschen und Tiere, sondern jede Pflanze, jeder Fluss, jeder Berg. Alles ist Teil eines lebendigen Ganzen. Auch du«, fuhr die Frau fort und zeigte mit ihrem Trommelstab auf Gabriel, »bist mit dem Baum der Welt verbunden. Die Schamanen und Schamaninnen betreten die Spiegelwelt der Geister, sprechen mit ihnen und hören ihnen zu.«
Thalia redete mit der Schamanin, und die Frau erwiderte etwas. »Ich habe sie gefragt, wieso sie hier in Karakorum ist«, übersetzte Thalia. »Sie sagt, dass sie Opfer für die Vergangenheit darbringt.«
Die Schamanin griff in die Falten ihres Mantels und zog Weihrauchstäbchen sowie eine kleine Metallschale hervor. Die Frau füllte die Schale mit Airag und setzte sie vor der Schildkröte ab. Dann rieb sie einen Feuerstein, um den Weihrauch anzuzünden, und in die Luft stieg beißender Rauch auf.
Schließlich begriff Gabriel. »Sie füttert die Schildkröte.«
»Ja, das stimmt.« Thalia nickte verblüfft.
Er hatte schon öfter zugesehen, wie Menschen Göttern Opfer darbrachten – vor Heiligenschreinen, in Tempeln oder am Straßenrand. Stets hatte er sich gefragt, was sie in den kalten Steinen oder Statuen sahen. Sein hartes Leben in Yorkshire und seine Erlebnisse als Soldat hatten Gabriel davon überzeugt, dass er nur an sich selbst glauben durfte. Seit er jedoch die Welt der Klingen der Rose kennenlernte, wankte seine Vorstellung davon, was real und richtig war. Wie jetzt. Warum brachte sie einer Statue ein Opfer, die noch nicht einmal ein Gott war?
In Hinsicht auf ihre Mission spielte es keine Rolle, welches Ziel die Schamanin damit verfolgte. »Sie ist die Frau, die wir suchen«, stellte Gabriel fest.
»Ich frage sie nach der Quelle.« Thalia wollte zu ihr gehen.
»Momentan wirkt sie sehr beschäftigt«, wandte Gabriel ein.
Die Schamanin hatte begonnen, auf ihre Trommel zu schlagen, erst sanft, dann zunehmend kräftiger und lauter. Dabei gab sie eine Art Sprechgesang von sich und begann, sich im Kreis zu drehen. Gabriel sah fasziniert zu, wie sie sich minutenlang singend und trommelnd im Kreis drehte.
»Sie tanzt sich in Trance«, erklärte Thalia leise. »So tritt sie über in die Welt der Geister. Ich habe nur davon gehört, es aber noch nie selbst gesehen.«
»Mein Großvater hat mir von Schamanen erzählt«, schaltete sich Batu ein. Der normalerweise furchtlose Diener stand hinter Gabriel, als suche er Schutz vor der singenden Frau. »Sie sind mächtig und seltsam.«
Gabriel musste ihm recht geben. Allein der Gesang der Schamanin erschütterte ihn bis ins Mark. Obwohl er in den entlegensten Teilen der Welt stationiert
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