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Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)

Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)

Titel: Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoe Archer
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gewesen war, hatte er als Engländer und Soldat nicht viel Gelegenheit gehabt, den spirituellen Riten der Einheimischen beizuwohnen. Er neigte jedoch dazu, sie als eine Spielart des religiösen Unfugs abzutun, zu dem man ihn als Kind gezwungen hatte. Hinduzeremonie oder anglikanischer Ritus – das schien ihm alles gleich. Leere Gesten.
    In der dunklen Ebene von Karakorum war jedoch nichts leer. Gabriel spürte, wie sich in der Atmosphäre etwas veränderte, während die Schamanin sang, trommelte und sich drehte. Etwas schien zum Leben zu erwachen. Eine unsichtbare Energie pulsierte unter der Oberfläche der Welt, kroch unter seine Haut und drang in seinen Verstand ein. Die Nacht erhielt schärfere Konturen und wirkte zugleich weiter. Als er Thalias Hand auf seinem Arm spürte, wäre er vor Schreck fast zur Seite gesprungen. Er spürte ihre Berührung so intensiv, dass es beinahe schmerzte.
    »Spürst du es?«, flüsterte sie. Sie sah ihn aus großen, funkelnden Augen an. Wunderschön.
    Er brachte ein Nicken zustande.
    Während die Stimme der Schamanin um sie herumtanzte, beschleunigte sich ihr Rhythmus. Sie drehte sich so schnell, dass ihre glänzenden Schellen und die Bänder vor seinem Auge verschwammen. Ihr Trommeln und Singen drang in Gabriels Kopf ein und machte es ihm unmöglich, zu denken oder sich zu rühren. Er konnte nur erstaunt zusehen, wie etwas in der Schildkröte zu leuchten und zu pulsieren begann.
    In dem Stein sammelte sich ein intensives, warmes rotes Licht. Während die Schamanin mit ihrem überirdischen Gesang fortfuhr, setzte sich das Licht in Bewegung. Es stieg aus der Mitte der Schildkröte durch ihren Körper in ihren Hals hinauf, weiter in ihren Kopf und schließlich in ihr Maul. Als das Licht aus dem Mund der Schildkröte in den Mund der Schamanin hinübertanzte, klammerte sich Thalia an Gabriels Ärmel. Plötzlich unterbrach die Frau ihren Sprechgesang und das Trommeln. Die Trommel fiel ihr aus den Händen, ebenso der Trommelstock mit dem Pferdekopf. Sie hörte auf, sich zu drehen, und wankte, während das Licht in ihre Brust glitt.
    Besorgt, dass die Schamanin von einem dunklen Geist besessen war, trat Gabriel zu ihr. Er wusste nicht, was er gegen die magische Energie unternehmen konnte, doch es schien ihm besser, als herumzustehen und zuzusehen. Thalia hielt ihn zurück.
    »Ich glaube, genau das hat sie gewollt«, flüsterte Thalia.
    »Ist es das, was wir wollen?«
    »Bitte seid still«, flüsterte Batu. »Sie spricht.«
    Doch als die Schamanin ihren Mund öffnete, sprach sie nicht, und sie stimmte auch keinen Sprechgesang an. Sie sang mit geschlossenen Augen eine Melodie. Ein unheimliches Lied voller Höhen und Tiefen, das durch Täler und über Berge glitt. Gabriel verstand die Worte nicht, doch er spürte, dass sich das Lied wie ein Band um ihn legte, sich unter seine Füße schob und ihm ein weites Land eröffnete. Sie nahm ihn mit über die gesamte Mongolei. Er sah die vorbeifliegenden Steppen, die schmalen Täler, die gnadenlose Schönheit der Bergketten, die dunkelblau schimmernden Seen. Das alles steckte in dem Lied. Etwas Ähnliches hatte er noch nie erlebt, auf all seinen Reisen nicht.
    Thalia blickte die Schamanin mit unverhohlener Bewunderung an und übersetzte leise den Text. Doch das war kaum nötig, denn Gabriel spürte , was das Lied bedeutete.
    Ich habe gesehen, wie sich die Welt verändert
    Schon viele Male
    Ein Leben, ein Atemzug.
    Immer das Gleiche.
    Ich bin ein Stein. Ich weiche nie.
    Und obwohl das Universum auf mir lastet,
    Rühre ich mich nicht.
    Der Himmel sieht alles. Er erzählt mir
    Alles. Was er sieht, erstaunt
    Selbst Ihn!
    Ein karmesinrotes Feld. Egal zu welcher Jahreszeit,
    Im sanften Frühling,
    Der kurzen Hitze des Sommers,
    Dem spröden Herbst,
    Dem langen, kalten Schnee des Winters …
    Das leuchtende Feld ist immer da.
    Es ist starr, aber es tut, was ich nicht kann.
    Es bewegt sich.
    Als die letzte Silbe des letzten Wortes verklang, sank die Schamanin wie ein Blatt sanft auf den Boden. Gabriel, dessen Reaktionsgeschwindigkeit von der Kraft des Liedes beeinträchtigt war, sprang nach vorn, um sie aufzufangen. Aber als er sie erreichte, blieben seine Arme leer.
    Die Schamanin schien verschwunden.
    Gabriel wünschte, er hätte mehr Whisky dabei. Nachdem die Schamanin fort war, hatte er zur Beruhigung die gesamte Flasche ausgetrunken. Doch das hatte nicht gereicht, sich mit der Vorstellung anzufreunden, dass es magische Lieder gab, die von einem Stein in

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