Die Klingen der Rose: Jenseits des Horizonts (German Edition)
solche Aufgabe Schildkröten und nicht etwas Wilderes wie etwa Löwen oder Drachen genommen haben.«
»Schildkröten symbolisieren die Ewigkeit, ein langes Leben.«
»Nicht so ewig, was, mein Freund?«, fragte Gabriel die Schildkröte. Als keine Antwort erfolgte, versetzte er dem steinernen Tier einen mitfühlenden freundschaftlichen Klaps. »Da gibt es nicht viel zu sagen. Da hast du recht, Kumpel. Wir möchten mit der Dame sprechen, die dich füttert.«
Thalia runzelte die Stirn. Diesen Teil der Nachricht konnte sie noch immer nicht deuten. »Mir war klar, dass Morris uns mit seinem Hinweis hierherführen wollte. Ich hatte gehofft, dass wir hier etwas über die alte Hauptstadt herausfinden. Es hat hier einst so viele Schätze gegeben, dass ich dachte, die Quelle befände sich darunter.«
»Wenn sie hier war «, sagte Gabriel, drehte sich um und lehnte sich gegen die Schildkröte, »ist sie jetzt lange fort.« Wieder gab er dem Stein einen Klaps. »Der Bursche hier sagt jedenfalls nichts.«
»Was sollen wir tun, Thalia Guai ?«, fragte Batu.
Thalia betrachtete die Schildkröte. Sie wusste wirklich nicht, ob hier etwas oder jemand war, nach dem sie suchen sollten. »Fragen wir im Kloster nach«, schlug sie nach einem Augenblick vor. »Vielleicht wissen die von jemand, der ›die Schildkröte füttert‹.« Nachdem alle diesen Plan für gut befanden, machten sie sich auf den Weg.
Einige Stunden später hätte sich Thalia vor Verzweiflung die Haare ausreißen können. Ihr vorsichtiges Nachfragen im Kloster hatte zu nichts geführt. Keiner der Mönche, mit denen sie leise gesprochen hatten, wusste von einer Frau, die etwas mit der Steinschildkröte zu tun hatte, ganz zu schweigen von einer, die sie fütterte. Die meisten von ihnen starrten Gabriel voll unverhohlener Faszination an, denn in diesem entlegenen Teil des Landes hatte man erst wenige weiße Männer gesehen. Thalia, Gabriel und Batu erhielten etwas Buuz , gedämpfte Knödel, die sie in Windeseile verschlangen und mit diversen Tassen Milchtee herunterspülten.
Als sie schließlich aus den Toren von Erdene Zuu traten, hatten sie lediglich volle Bäuche und Batu die Taschen voll Weihrauch, den er beim nächsten Besuch seinen Eltern mitbringen wollte. Der Nachmittag war vorüber, und der Abend färbte den Himmel indigoblau. Das einzige Licht im Orkhon-Tal stammte von den vereinzelten Gers auf dem Feld und den Fackeln innerhalb der Klostermauern.
»Ich könnte jemand in den Gers fragen«, schlug Thalia müde vor und versuchte, sich ihre Wut nicht anmerken zu lassen. »Aber ich habe Angst, dass wir dadurch noch mehr Spuren für die Erben hinterlassen.«
»Da war dieser Kerl in Jhansi. Der hatte einen Lampenladen«, sagte Gabriel. Er holte einen Zigarrenstumpen aus der Innentasche seiner Jacke hervor und zündete ihn an. Das aufflackernde Streichholz beleuchtete kurz sein Kinn, dann blies er es aus. »Der kannte jeden und wusste alles. Wie man munkelte, wusste er auch von einem geheimen Waffenlager, das für einen blutigen Aufstand gegen die Maharadschas bestimmt war. Ich bin zu dem Mann gegangen und habe ihn danach gefragt. Aber der verflixte Kerl hat uns nichts verraten. Das war verdammt übel. Doch anders als meine Vorgesetzten es geplant hatten, wollte ich die Wahrheit nicht aus ihm herausprügeln. Dennoch habe ich bekommen, was ich wollte.« Er zog an der Zigarre und stieß eine duftende Rauchwolke aus.
Thalia überkam die lebhafte Erinnerung an seinen Geruch nach Tabak und Whiskey. »Wie haben Sie das geschafft?«
»Indem ich gewartet habe.« Er grinste mit dem Zigarrenstumpen zwischen den Zähnen. »Tagelang habe ich vor seinem Laden ausgeharrt. Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Auch mit niemandem sonst. Ich habe mit verschränkten Armen an der Mauer gegenüber gelehnt und ein solches Gesicht gemacht.« Er demonstrierte es ihnen, verschränkte die Arme vor der Brust und wirkte mit seinem angespannten Kiefer und den zusammengezogenen Brauen plötzlich ziemlich gefährlich. Wenn er so bedrohlich aussah, konnte niemand Gabriel den Gehorsam verweigern. Selbst Thalia fühlte sich von seiner Demonstration etwas eingeschüchtert. Doch genauso schnell verschwand der bedrohliche Ausdruck aus seinem Gesicht, und Gabriel fuhr leichthin mit seinem Bericht fort: »Ich bin einfach dortgeblieben und habe ihn beobachtet. Und nach drei Tagen zerrte mich dieser Mistkerl in den Laden und erzählte mir alles, was ich wissen musste. Er hat den Druck nicht mehr
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