Die Klinik
sie.
»Was hätten wir für diesen Mann tun können, meine Herren?« fragte er das Todeskomitee.
Aber niemand antwortete.
Er versuchte nicht mehr in die Appleton-Kapelle oder eine andere Kirche zu gehen, aber eines Nachts, als er dasaß und an dem Buch arbeitete, erfüllte ihn plötzlich eine neue Gewißheit: er würde es beenden. Dieses Wissen war sehr stark. Es überfiel ihn nicht in einem Ausbruch farbiger Lichter oder aufklingender Musik, wie solche Augenblicke immer in schlechten Fernsehsendungen am Ostermorgen geschildert wurden. Es war einfach ein ruhiges, kraftvolles Versprechen.
»Danke, Herr«, sagte er.
Am nächsten Morgen ging er, bevor er sich an der Maschine meldete, in Mrs. Bergstroms Zimmer und stand an ihrem Bett. Sie schien zu schlafen, aber nach einigen Augenblicken öffnete sie die Augen.
»Wie fühlen Sie sich?« fragte er.
Sie lächelte. »Nicht sehr gut. Und Sie?«
»Sie wissen von mir?« fragte er interessiert.
Sie nickte. »Wir sitzen im selben Boot. Sie sind der Doktor, der krank ist, nicht?«
Also wußten es sogar die Patienten. Es gehörte zu jenen Neuigkeiten, die sich in einem Krankenhaus schnell verbreiten.
»Kann ich irgend etwas für Sie tun?« fragte er.
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Dr. Kender und seine Leute kümmern sich um alles. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden sich auch um Sie kümmern.«
»Ja, bestimmt«, sagte er.
»Sie sind wunderbar. Es ist gut, jemanden zu haben, dem man vertrauen kann.«
»Ja, wirklich«, sagte er.
Kender kam herein und sagte ihm, daß sie warteten, um ihn an den Apparat anzuschließen. Sie verließen zusammen das Zimmer, und auf dem Gang wandte sich Longwood an den jüngeren Mann. »Sie hat ein unglaubliches Vertrauen zu Ihnen. Sie glaubt, Sie seien unfehlbar.«
»Das kommt vor und ist kein Nachteil. Es hilft uns«, sagte Kender.
»Aber es ist natürlich ein Nachteil, daß ich mir Ihrer Grenzen bewußt bin«, sagte er.
Longwood legte sich nieder und ließ sich von der Schwester an die Maschine anschließen. Im nächsten Augenblick begann der Apparat spöttisch zu plätschern. Er legte sich zurück und schloß die Augen. Vorsichtig am Ausschlag kratzend, begann er von Anfang an Gott alles zu erzählen.
10
R A F A EL MEOM AR TI N O
Meomartino kam an diesem Abend nach Hause, als Huntley eben Brinkley im Fernsehen Gute Nacht sagte. Liz lag in einem Hauskleid auf der Couch im Wohnzimmer, die Schuhe auf dem Boden, das Haar nur ganz leicht in Unordnung, und ihre Müdigkeit betonte die zarten Linien um ihre Augen. Sie drehte den Kopf herum und bot ihm die Wange zum Kuß. »Wie war es heute?«
»Schrecklich«, sagte er. »Wo ist der Junge?«
»Im Bett.«
»So früh?«
»Weck ihn nicht. Er ist total erschöpft, und ich auch.«
»Pappi?« rief Miguel aus seinem Zimmer.
Er ging hinein und setzte sich auf das Bett. »Wie geht’s?«
»Gut«, sagte der Junge; er fürchtete sich im Dunkeln, und sie ließen eine Lampe mit einer schwachen Birne auf dem Schreibtisch brennen.
»Kannst du nicht einschlafen?«
»Nein«, sagte er. Als Rafe die Hand des Kindes unter der Decke hervorholte, sah er, daß sie schmutzig war.
»Hast du nicht gebadet?«
Miguel schüttelte den Kopf. Rafe ging ins Badezimmer, ließ eine Wanne mit warmem Wasser vollaufen und trug dann den Jungen aus dem Bett ins Bad, zog ihn aus und wusch ihn sehr behutsam. Gewöhnlich schlug Miguel um sich und plantschte, jetzt aber war er schläfrig und lag still. Er begann schneller zu wachsen, als sein Fleisch nachkommen konnte. Seine Hüftknochen standen vor, seine Arme und Beine waren dünn.
»Du wirst ein sehr großer Mann werden«, sagte Rafe.
»Wie du.«
Rafe nickte. Er rieb ihn mit einem Tuch ab, zog ihm einen frischen Pyjama an und trug ihn ins Schlafzimmer zurück.
»Mach ein Zelt«, bat Miguel.
Er zögerte, denn er war müde und hungrig.
»Bitte«, sagte der Junge.
Also ging er in sein Arbeitszimmer und kam mit einer Ladung Bücher zurück, nahm eine Decke vom Bett, breitete sie zwischen Bett und Schreibtisch aus und beschwerte jede Ecke des Tuchs mit vier, fünf Büchern. Dann löschte er das Licht, und er und sein Sohn krochen in das Zelt. Der Acrylteppich war weicher als ein Rasen. Der kleine Junge schmiegte sich an ihn und umfing ihn mit den Armen.
»Erzähl mir über den Regen. Du weißt schon.«
»Draußen regnet es sehr stark. Alles ist kalt und naß«, sagte Rafe gehorsam.
»Was noch?« Der Bub gähnte.
»Im Wald zittern
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