Die Klinik
anrufen«, sagte er.
Calvin nickte. »Hübscher Park. Gibt’s Fische in dem Teich?«
»Ich weiß nicht. Im Sommer gibt es Paddelboote mit großen weißen Schwänen drauf.«
»Hast du den Anwalt aufgesucht?«
»Ja. Er sagte, ich brauchte mir keine Sorgen zu machen. Er meinte, für einen jungen Arzt sei ein Prozeß wegen eines ärztlichen Kunstfehlers heutzutage reine Routinesache, wie man sozusagen erst dann ein Mann ist, wenn man die erste Gonorrhöe gehabt hat.«
Calvin sah ihn an. »Was hast du darauf geantwortet?«
»Ich sagte ihm, ich hätte einige sehr häßliche Fälle von Gonorrhöe gesehen, und einige von ihnen bei äußerst armseligen Exemplaren von Männern.«
Calvin lächelte. »Ich mache mir keine Sorgen um dich«, sagte er.
»Danke.«
»Ich mache mir mehr Sorgen um mich«, sagte er. »Warum weist du mich immer ab, Spurgeon?«
Auf der gegenüberliegenden Seite der Boylston Street erhoben sich Stimmen, Gesang und Gelächter, Wagentüren wurden zugeschlagen.
»Das ist der Playboy-Klub«, sagte Spurgeon. »Ein Haufen aufreizender Weiber mit Hasenschwänzchen am Arsch.«
Calvin nickte. »Ich war in dem New Yorker Klub«, sagte er. »Aber danke für die Definition.«
»Es fällt mir schwer, es in Worte zu fassen«, sagte Spurgeon.
»Es ist aber an der Zeit, daß du es versuchst«, sagte Calvin. »Ich könnte dich nicht mehr lieben, wenn ich dein leiblicher Vater wäre. Das weißt du.«
Spurgeon nickte.
»Du hast mich nie im Leben um etwas gebeten. Nicht einmal als Kind.«
»Du hast mir immer Sachen geschenkt, bevor ich noch darum bitten konnte. Weißt du noch, wie Rap Brown und Stokely gesagt haben, die Weißen schnitten uns die Hoden ab?«
Calvin sah ihn an und nickte.
»Nun, so ungefähr ist es.«
»Ich habe dir die Hoden abgeschnitten?« fragte Calvin leise.
»Nein, nein, so meine ich es nicht. Schau, du hast mir das Leben gerettet. Wohin ich auch schaue, sehe ich es. Du hast mein Leben gerettet.«
»Ich bin kein Lebensretter. Ich will dein Vater sein.«
»Dann hör’ zu, was ich dir sage. Und versuche zu verstehen. Du bist ein besonderer Mensch. Es wäre leicht, wenn ich dich für den Rest meines Lebens alles für mich tun ließe. Ich müßte ersticken.«
Calvin sah ihn scharf an und nickte. »Ja. Das verstehe ich.«
»Laß mich ein Mann sein, Calvin. Biete mir keine Hilfe mehr an.«
Calvin sah ihn noch immer an. »Wirst du deine Mutter anrufen? Wirst du heimkommen, wenn es dir möglich ist?«
Spurgeon lächelte und nickte.
»Und falls du mich je brauchst – meine Hilfe wirklich brauchst –, wirst du sie verlangen? Als wäre ich dein leiblicher Vater?«
»Das verspreche ich dir.«
»Was hättest du getan, wenn sie mich gehaßt hätten?« fragte ihn Dorothy einige Tage nachdem Roe-Ellen und Calvin nach New York zurückgeflogen waren.
»Sie haben dich nicht gehaßt.«
»Aber wenn?«
»Das weißt du«, sagte er.
Ohne viele Worte war zwischen ihnen das Verstehen der gegenseitigen Abhängigkeit entstanden, aber er fand es immer schwieriger, sie zu behandeln, als hätten sie einander eben erst kennengelernt; erschwert wurde dies noch durch den Umstand, daß sie Adam Silverstone und Gaby Pender sehr häufig sahen, die so offenkundig in fleischlicher Lust schwelgten, daß er sich manchmal in ihrer Gegenwart wie ein Voyeur vorkam.
An ruhigen Nachmittagen erforschten sie zu viert Beacon Hill, wanderten über den Hügel mit einem Gefühl, als gehörte er ihnen. Sie bewunderten alles, die elegante alte Bostoner Ordentlichkeit des Louisburg Square, das glatte Kopfsteinpflaster, das noch aus der Zeit stammte, als die Straßenbaukontrakte von Politikern vergeben wurden, lächelten spöttisch über die dicken Politiker, die in dem Kaffeehaus hinter dem State House debattierten; sie bewunderten die noch erhaltenen reizenden Laternen in der Revere Street; an dunklen Abenden hatten sie das Gefühl, daß auf der anderen Seite des Hügelkammes noch immer das Jahr 1775 wartete. Immer wenn sie zur plebejischen Nordseite des Hügels zurückkehrten, zu ihrer Seite, hauptsächlich von arbeitenden Menschen und einer schnell wachsenden Kolonie von Bärtigen und leicht Verrückten bewohnt, stimmten sie darin überein, daß es die bessere von beiden war, die lebendigere, die saft und kraftvollere.
Eines Morgens wanderten die vier nach Anweisungen, die Gaby von ihrer Hausfrau bekommen hatte, durch einen kalten, nebelfeinen Frühlingsregen und fanden das gewöhnlich aussehende Rathaus in der Bowdon
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