Die Klinik
durchzugehen, in dem er Greene zum Testamentsvollstrecker bestimmt hatte.
Er hatte das Gefühl, daß das Dokument gut abgefaßt war. Der Ertrag aus Wertpapieren würde einen neuen Lehrstuhl für Kender an der medizinischen Schule dotieren. Longwoods Gehalt als Chefchirurg war seinen unmittelbaren Bedürfnissen mehr als angemessen, aber er hatte die angeborene Abneigung des gebürtigen New Englanders, Kapital anzugreifen.
Der größte Teil seines Vermögens würde der Stiftung erst nach seinem Tod zufließen, wenn man einen Beratungsausschuß der Fakultät zwecks Verwendung des Einkommens zum Nutzen der Medical School einsetzen würde.
»Ich hoffe, daß sich dieser Ausschuß noch lange nicht konstituieren muß«, sagte Greene, als er die Dokumente gelesen hatte.
Diese Bemerkung kam einem gefühlsbetonten Ausspruch so nahe, wie Longwood ihn von dem Bankier nur selten gehört hatte.
»Danke, Gilbert«, sagte er. »Darf ich dir einen Drink anbieten?«
»Etwas Brandy.«
Dr. Longwood öffnete das tragbare Schnapskästchen hinter seinem Schreibtisch und schenkte aus einer alten blauen Flaschen ein. Nur ein Glas, keines für sich selbst.
Er hatte den kleinen Barschrank aus wunderschönem dunklem Mahagoni und altem Silber besonders gern. Erstanden hatte er ihn eines Nachmittags bei einer Antiquitätenaktion in der Newbury Street, erst zwei Stunden nachdem er der Berufung Bester Kenders in den Krankenhausstab zugestimmt hatte. Kender hatte sich mit seinen Neuerungen bereits einen Namen als Transplantationschirurg in Cleveland gemacht, und an jenem Nachmittag war sich Harland Longwood neuerlich bewußt geworden, wie dringend jüngere und klügere Männer in seiner Welt nötig waren. Er bezahlte mehr, als das kleine antike Schränkchen wert war, teils, weil er wußte, daß es Frances gefallen hätte, teils, weil er sich in schwarzem Humor sagte, daß er, wenn ihn die jungen Feuerköpfe in einen stillen Winkel verwiesen, die Flaschen mit seinem Lieblingsgetränk füllen und die langen Nachmittage betäuben konnte.
Jetzt, zehn Jahre später, war er noch immer Chefchirurg, dachte er nicht ohne Genugtuung. Kender hatte weitere junge Genies in den Stab gelockt, aber jedes von ihnen war nur auf seinem engen Spezialgebiet eine Leuchte. Es bedurfte noch immer eines alten, ergrauten Allgemeinen Chirurgen, der alle Bruchstücke zusammenfügte und das Haus als eine echte chirurgische Station leitete.
Greene schnupperte am Glas, schlürfte, drückte den Brandy gegen den Gaumen und schluckte ihn dann bedächtig. »Ein großzügiges Geschenk, Harland.«
Longwood zuckte die Achseln. Sie fühlten sich beide dem Krankenhaus und der Medical School gleichermaßen verpflichtet. Obwohl Greene selbst kein Mediziner war, war doch sein Vater Chefarzt gewesen, und er war fast automatisch in den Verwaltungsrat ernannt worden, sowie er sich hochgearbeitet und seine Stellung in der Bankwelt ihn zu einem Gewinn für das Krankenhaus gemacht hatte. Longwood wußte, daß Gilberts Testament Klauseln enthielt, die dem Krankenhaus sogar noch mehr bringen würden als seine eigenen.
»Bist du sicher, daß deine Treue zu diesem Haus dich nicht dazu veranlaßt hat, die übrigen Nutznießer zu vernachlässigen?« fragte Greene. »Ich sehe, daß die einzigen anderen Legate zu je zehntausend Dollar an Mrs. Marjorie Snyder in Newton Center und an Mrs. Rafael Meomartino in der Back Bay gehen.«
»Mrs. Snyder ist eine alte Freundin«, sagte Dr. Longwood.
Greene, der Harland Longwood sein ganzes Leben lang kannte und auch alle seine alten Freunde zu kennen glaubte, nickte ohne Überraschung. Er war an überraschende Testamente gewöhnt.
»Sie hat ein behagliches Jahreseinkommen, braucht meine finanzielle Unterstützung nicht und wünscht sie auch nicht. Mrs. Meomartino ist meine Nichte Elizabeth, die Tochter von Florence«, fügte er hinzu und erinnerte sich, daß Gilbert einmal ein wenig verliebt in Florence gewesen war.
»Mit wem ist sie verheiratet?«
»Mit unserem Fellow der Chirurgie. Er ist recht gut situiert. Familienvermögen.«
»Ich muß ihn schon einmal kennengelernt haben«, sagte Greene zögernd. Longwood hatte bemerkt, daß Gilbert nicht zugeben konnte, das er die jüngeren Leute des Krankenhauses nicht mehr so genau kannte, als wäre es noch immer eine kleine, eng miteinander verbundene Gemeinschaft.
»Sonst gibt es niemanden«, sagte Dr. Longwood. »Das ist der Grund, warum ich den Lehrstuhl für Kender ohne Aufschub stiften wollte.
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