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Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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bitte.«
    Park Square. Das Lokal hieß The Sands. Die Beleuchtung war trüb, aber der Scotch entschieden nicht verwässert. Als er hinauskam, stand das Taxi da, ein gespenstiges Schlachtroß, das ihn mit tickendem Taxameter im Galopp zu den neonerleuchteten Vergnügungspalästen der Lebenden brachte. Sie rückten mit häufigen Pausen nach Norden vor. Als Rafe vor einer Taverne in der Charles Street ausstieg, drückte er dem Fahrer dankbar für seine Loyalität eine Banknote in die Hand und bemerkte den Irrtum erst, als das Taxi wegfuhr.
    Als er das Lokal in der Charles Street verließ, waren alle Gegenstände verschwommene Flecken, einige heller als andere. Der Wind vom Charles River herüber war rauh und naß. Der Regen trommelte und zischte auf dem Gehsteig zu seinen Füßen. Seine Kleider und Haare sogen ihn auf, bis sie ihn nicht mehr halten konnten, und liefen dann über, wie die übrige Welt. Der Regen, hart und kalt, biß ihn ins Gesicht und bewirkte, daß ihm unerklärlich übel wurde.
    Er ging an der Massachusetts-Augenklinik und an den triefenden Umrissen des Allgemeinen Krankenhauses vorbei. Er war sich nicht sicher, wann eigentlich die Feuchtigkeit in ihm hochwallte, um der Nässe draußen zu begegnen, aber plötzlich entdeckte er, daß er von tief, tief innen her weinte.
    Um sich selbst.
    Um den Bruder, den er so sehr gehaßt hatte und nie wieder sehen würde.
    Um seine tote Mutter.
    Um den Vater, an den er sich kaum erinnern konnte.
    Um seinen verlorenen Onkel. Um die Tage und Orte seiner Kindheit.
    Um die lausige Welt.
    Er hatte ein erleuchtetes Vordach vor einem scheinwerfererhellten Hafen erreicht, wo von Menschen errichtete Springbrunnen im Regen plätscherten.
    »Weg da«, sagte der Türhüter des Charles River Park drohend sotto voce. Rafe drückte sich beiseite, um zwei Frauen vorbeizulassen, die nach zerquetschten Rosen rochen. Die eine war schon in das Taxi gestiegen, als die andere zurückkam und die Hand ausstreckte, als wollte sie ihn berühren. »Doktor?« sagte sie ungläubig.
    Er erinnerte sich von irgendwoher an sie und versuchte zu sprechen.
    »Doktor«, sagte sie. »Ich habe Ihren Namen vergessen.
    Wir haben einander in dem Kaffeehaus im Massachusetts General kennengelernt. Ist Ihnen nicht gut?«
    Ich bin ein Feigling, sagte er, aber es kam kein Ton heraus.
    »Elizabeth!« rief das andere Mädchen aus dem Taxi.
    »Kann ich etwas für Sie tun?« fragte Elizabeth.
    Jetzt war das andere Mädchen ausgestiegen. »Wir sind doch ohnehin schon spät daran«, sagte sie.
    »Weinen Sie nicht«, sagte Elizabeth. »Bitte.«
    »Elizabeth«, sagte das andere Mädchen, »was fällt dir eigentlich ein? Was glaubst du, wie lange die Burschen warten?«
    Liz Bookstein legte den Arm um seine Mitte und begann ihn unter dem Vordach über den blutroten Teppich zum Eingang des Hotels hinunterzulotsen. »Sag ihnen, es täte mir leid«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.
     
    Als er das erstemal erwachte, sah er in dem trüben Licht der Nachtlampe, daß sie in dem Sessel neben dem Bett schlief; sie trug noch immer ihr Kleid, aber ihr Strumpfbandgürtel, die Strümpfe und Schuhe lagen auf dem Boden, und sie hatte die bloßen Füße unter sich gezogen, um sich gegen die Kälte zu schützen. Das zweitemal lag das graue Licht der ersten Dämmerung im Zimmer, sie war wach und sah ihn mit jenen Augen an, an die er sich jetzt mühelos erinnerte; sie lächelte nicht, sie sagte nichts, sondern schaute nur, und nach einer kleinen Weile schlief er wieder, ohne es zu wollen. Als er erwachte, strömte die helle Vormittagssonne durch die Fenster. Sie saß in demselben Sessel, trug noch immer ihr Kleid, ihr Kopf war auf die Seite gesunken; sie war seltsam wehrlos und sehr schön im Schlaf.
    Er erinnerte sich nicht, daß er entkleidet worden war, aber als er aus dem Bett stieg, war er nackt. Zu seiner eigenen Verlegenheit hatte er eine starke Erektion und tappte hastig ins Badezimmer. Er war ein schlechter Betrunkener, überlegte er düster, als er seinen Körper von Giften reinigte.
    Nach einer Weile klopfte sie an die Tür.
    »Im Arzneischränkchen ist eine neue Zahnbürste.« Er räusperte sich. »Danke.«
    Er entdeckte sie neben einem Rasierapparat, was ihm einen Schock versetzte, bis er sich wütend sagte, daß er ihr gehörte, für die Beine. Unter der Dusche merkte er, daß die Seife mit dem Duft zerdrückter Rosen imprägniert war, zuckte jedoch die Achseln und wurde er zum Sybariten. Er vergönnte sich eine Rasur und

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