Die Klinik
erforderte, aber gefühlsmäßig hatte er nie verstanden, daß sie jemand als Lebensaufgabe der Ausübung der Medizin an Lebenden vorzog.
Er mochte Obduktionen noch immer nicht.
Ein Chirurg lernt den menschlichen Körper als wunderbare Maschine aus Fleisch kennen, eingehüllt in eine bemerkenswerte epidermische Verpackung. Das ganze Ding pulst vor vielschichtigen Prozessen. Seine Säfte und Fasern, die eindrucksvolle Kompliziertheit seiner wunderbaren Substanz sind durchströmt von Leben und ständiger Veränderung. Chemikalien reagieren auf Enzyme; Zellen ersetzen sich selbst, manchmal sogar verbrecherisch; Muskel wirken auf Hebel und Glieder bewegen sich auf Kugellagern; daneben gibt es noch Pumpen, Ventile, Filter, Verbrennungskammern, neutrale Netzwerke, komplizierter als die elektronischen Anlagen eines Riesencomputers alles arbeitet, während der Arzt versucht, die Bedürfnisse des ganzen integrierten Organismus vorauszusehen.
Im Gegensatz dazu müht sich der Pathologe an verwesenden Objekten ab, in denen nichts arbeitet.
Dr. Sack kam herein, mürrisch vor Sehnsucht nach seinem Morgenkaffee. »Was führt Sie her?« begrüßte er Adam. »Wissensdurst? War doch nicht Ihre Patientin, oder?« Er kochte den Kaffee in einer riesigen angeschlagenen grünen Kanne mit der Aufschrift MUTTER.
»Nein, aber sie wurde auf meiner Station behandelt.« Dr. Sack knurrte etwas.
Als er ausgetrunken hatte, begleiteten sie ihn in den weißgekachelten Obduktionsraum. Mrs. Donnellys Leiche lag auf dem Tisch. Die Instrumente waren vorbereitet und warteten.
Adam sah sich beifällig um. »Sie müssen einen guten Famulus haben«, sagte er.
»Verdammt richtig«, sagte Dr. Sack. »Er ist seit elf Jahren bei mir. Was wissen Sie über Famuli?«
»Ich habe in meiner Studentenzeit als Famulus gearbeitet. Für den Leichenbeschauer in Pittsburgh.«
»Für Jerry Lobsenz? Gott geb ihm die ewige Ruh’, er war ein guter Freund von mir.«
»Auch von mir«, sagte Silverstone.
Dr. Sack hatte es nicht sehr eilig anzufangen. Er saß in dem einzigen Sessel des Raums und las langsam und sorgfältig die Krankengeschichte durch, während sie warteten.
Endlich verließ er seinen Sessel und ging zu der Leiche. Er hielt den Kopf in den Händen und bewegte ihn von einer Seite zur anderen. »Dr. Robinson«, sagte er nach einem Augenblick, »wollen Sie bitte herkommen?«
Spurgeon ging hin, und Adam folgte ihm. Dr. Sack bewegte den Kopf wieder. Im Tod schien die alte Frau etwas hartnäckig zu leugnen. »Hören Sie?«
»Ja«, sagte Spurgeon.
Adam, der neben ihm stand, vermochte das kleine kratzende Geräusch ebenfalls zu vernehmen. »Was ist das?«
»Das werden wir bald mit Sicherheit wissen«, sagte Dr. Sack. »Helft mir, sie umzudrehen. Ich glaube, wir werden einen Bruch des processus odontoideus, des Zahnfortsatzes, am zweiten Halswirbel finden«, sagte er zu Spurgeon.
»Kurz, das arme alte Frauenzimmer hat sich den Hals gebrochen, als sie sich bei dem Autounfall den Kopf anschlug.«
»Aber sie hatte keine Schmerzen, als ich sie sah«, sagte Spurgeon. »Es war überhaupt kein Schmerz vorhanden.«
Dr. Sack zuckte die Achseln. »Es müssen nicht unbedingt Schmerzen auftreten. Sie hatte alte, mürbe Knochen, die leicht brechen konnten. Der Zahnfortsatz ist nur ein winziges Ding, ein knochiger Vorsprung des Wirbels. Ihr Sohn berichtete, daß sie sich gestern abend sehr wohl fühlte, mit gutem Appetit aß, praktisch nur eine Stunde vor ihrem Tod. Sie lag im Bett, mit drei Kissen als Stütze im Rücken. Sie war hinuntergerutscht und warf sich ziemlich gereizt auf die Kissen zurück. Ich würde sagen, daß der Stoß und dazu eine teilweise Drehung des Kopfes das lose Bruchstück in das Rückenmark trieb, was den Tod fast sofort eintreten ließ.«
Er führt eine Laminektomie durch, indem er in den Nakken schnitt, um die Wirbel der Halswirbelsäule bloßzulegen, und durchtrennte gekonnt den roten Muskel und die weißlichen Sehnen. »Haben Sie den harten Überzug des Rückenmarks bemerkt, Dr. Robinson?«
Spurgeon nickte.
»Genau wie die Membran, die das Gehirn einhüllt.« Mit seiner behandschuhten Fingerspitze und dem Skalpell hielt er den Einschnitt weit offen, so daß sie das Gebiet des Blutergusses und das durch das Knochenstückchen zerdrückte Rückenmark, die Todesursache, sehen konnten.
»Da haben wir’s«, sagte er heiter. »Sie haben keine Halsröntgen machen lassen, Dr. Robinson?«
»Nein.«
Dr. Sack schürzte die Lippen und grinste.
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