Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Klinik

Die Klinik

Titel: Die Klinik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
Vom Netzwerk:
müsse.
    »Sind Sie Kirchgänger?« fragte die Mutter.
    »Nein, Ma’am. Ich glaube, ich war in den letzten fünf Jahren keine sechsmal in der Kirche.«
    Sie schwieg einen Augenblick. »Ich schätze Ihre Aufrichtigkeit«, sagte sie endlich. »Welche Kirche besuchen Sie, wenn Sie gehen?«
    »Meine Mutter ist Methodistin«, sagte er.
    »Wir sind Unitarier. Wenn Sie morgen früh mit uns kommen wollen, sind Sie willkommen.«
    »Ich habe irgendwo gehört, daß ein Unitarier jemand ist, der an die Vaterschaft Gottes, die Brüderlichkeit der Menschen und an seine Bostoner Adresse glaubt.«
    Henry Williams warf den Kopf zurück und brüllte vor Lachen aber Spurgeon sah die zusammengepreßten Lippen von Mrs. Williams, und merkte, daß er sich wie ein verdammter Narr betrug. »Ich habe die nächsten beiden Sonntage Dienst im Krankenhaus. Ich möchte sehr gern in drei Wochen in der Kirche neben Dorothy sitzen, wenn die Einladung bis dahin noch gilt.«
    Er sah, daß beide Eltern sie ansahen.
    »Ich gehe nicht in die Kirche«, sagte sie rundheraus.
    »Ich bin in den Bostoner Tempel Elf gegangen.«
    »Sie sind Muselmanin?«
    »Nein«, sagte ihre Mutter schnell. »Sie interessiert sich nur sehr für diese Bewegung.«
    »Einiges an dieser Religion klingt ganz vernünftig«, sagte Henry Williams unbehaglich. »Ohne Frage.«
    Spur bedankte sich bei ihnen und verabschiedete sich, und das Mädchen begleitete ihn zur vorderen Veranda.
    »Mir gefallen Ihre Eltern«, sagte er.
    Sie lehnte sich an die Haustür und schloß die Augen.
    »Mein Vater und meine Mutter sind Onkel Tom und seine alte Dame. Und Sie«, sagte sie, öffnete jetzt die Augen und sah ihn an, »Sie haben sie wie ein Scharlatan aus der Hand fressen lassen. Mir erzählen Sie, daß Sie der und der sind, und ihnen sagen Sie, daß Sie ganz jemand anderer seien.«
    »Kommen Sie nächstes Wochenende mit mir auf den Strand.«
    »Nein«, sagte sie.
    »Ich halte Sie für ein sehr schönes Mädchen. Aber ich bettle nicht. Danke für die Einladung.«
    Er kam bis zur Gartentür, als ihn ihre Stimme zurückhielt. »Spurgeon.«
    Das Weiße ihrer Augen schimmerte in der Dunkelheit auf der weinbewachsenen Veranda. »Auch ich bettle nicht. Aber kommen Sie vor dem Mittagessen und bringen Sie einen warmen Sweater mit. Wir machen einen Spaziergang.« Sie lächelte. »Ich habe mir den Hintern abgefroren, als ich auf dem elenden Strand auf Sie wartete.«
    Im Krankenhaus war alles so, wie er es verlassen hatte. Derselbe Geruch kranker Armut hing schwer und verdrossen in der Luft. Der Aufzug knarrte und stöhnte, als er langsam hochstieg. Einem Impuls folgend stieg Spurgeon im vierten Stock aus und schaute prüfend in die Abteilung. Sie war unterbesetzt, da sich einige Schwestern mit dem gleichen Coxsackie-Virus hingelegt hatten, der Potter und mehrere andere Stabsmitglieder gefällt hatte.
    »Bitte«, sagte eine Stimme. Hinter einem zugezogenen Vorhang lag die uralte Polin, die Glieder dürr wie Stöcke, von eitrigen Wunden übersät, und starb in den schrecklichen Gerüchen ihrer Ausscheidungen langsam dahin. Er reinigte sie, wusch sie vorsichtig, gab ihr ein Betäubungsmittel, richtete ihren Harnkatheter, beschleunigte das Fließen der intravenösen Flüssigkeit und ließ sie süßer sterbend zurück, als sie vorher dahingestorben war. Als er auf dem Rückweg zum Lift an Silverstones Büro vorbeikam, öffnete sich die Tür.
    »Spurgeon.«
    »Hallo, Chefmensch.«
    »Komm herein, ja?«
    Er fühlte sich wieder wohl, hatte die alte Frau, deren Leben verebbte, schon vergessen und erinnerte sich an die junge Frau, deren Leben erst heranreifte. »Was ist los, Baby?«
    »Du hattest unlängst abends im Unfall eine Patientin namens Mrs. Therese Donnelly?«
    Die Rätseldame. Ein winziger Angstknoten bildete sich in seiner Brust. »Ja, sicher. Ich erinnere mich an den Fall.«
    »Sie kam vor sechs Stunden ins Krankenhaus zurück.«
    Der Knoten wuchs, versteifte sich. »Willst du, daß ich vorbeigehe und sie mir anschaue?«
    Adams Augen waren direkt und ohne zu blinzeln auf ihn gerichtet. »Es wäre eine gute Idee für uns beide, in der Früh dem Pathologen bei der Autopsie über die Schulter zu schauen«, sagte er.

7
 
A D AM S I L V E RS T O NE
    Innerlich hatte Adam Silverstone große Achtung vor den Pathologen, beneidete sie aber nicht. Er hatte ihre lebenswichtige Arbeit oft genug selbst verrichtet, um zu wissen, daß sie die Kenntnisse eines Wissenschaftlers und die Geschicklichkeit eines Detektivs

Weitere Kostenlose Bücher