Die Kluft: Roman (German Edition)
Baumstamm oder ein Ast im Strom trieb, fingen sie ihn bisweilen ein, hielten sich daran fest und ließen sich ziehen. Die weiblichen Wesen taten so etwas nicht, die älteren jedenfalls, aber jüngere Spalten waren durchaus dabei. Allerdings hatten die Spalten etwas dagegen, dass kleinere Jungen an diesem Spiel teilnahmen. Es war natürlich sehr gefährlich, und ein kleines Kind, das sich nicht festhalten konnte, ertrank.
Die Trauer um dieses Kind findet Erwähnung, und zwar viel ausdrücklicher als in früherer Zeit, wo man Todesfällen gegenüber achtlos und sogar gleichgültig eingestellt war. Man brachte diesem Kind Achtung entgegen. Das tote Kleinkind wurde nicht dem Wasser überlassen, sondern von der kleinen Insel, wo es sich unter Wasser verfangen hatte, zurück ans Ufer gebracht. Es wurde am Waldrand unter Steinen begraben, damit die Tiere den Leichnam nicht wieder ausgruben.
Inzwischen wurden häufig große Tiere erwähnt, die manchmal aus dem Wald kamen.
Es wurden ständig Feuer unterhalten, Tag und Nacht, denn diese Tiere hatten Angst vor Feuer, und nicht nur der Fluss, sondern auch diese Feuer wurden bewacht.
Das ständige Bewusstsein von Gefahr, von Bedrohung, war neu: »Wir sind so wenige, wir sterben so rasch.«
Aus diesem Grund denken wir heute, dass jene Periode lange anhielt; lange genug, um neue Sitten, Gefühle und Gedanken hervorzubringen.
Was sie wohl empfanden, als sie das kleine Kind begruben? Und was, wenn
Alte
starben? Ob sie Fische an das Grab des Kindes legten, für seine Reise in das Leben nach dem Tod? Glaubten sie an ein Leben nach dem Tod?
Als das Kind durch die Achtlosigkeit der jungen Männer – wie die Spalten dachten – gestorben war, verlangten die Mädchen von der Küste eine Aussprache mit den Jungen, in der über Sicherheitsmaßnahmen entschieden werden sollte.
Die Männer schlugen ein Treffen an einem bestimmten Küstenabschnitt vor. Doch zuvor sollte ein Fest stattfinden. Also gab es viele aufregende Vergnügungen, und es wurde fast die ganze Nacht »gespielt«, während der Vollmond über die Festlichkeiten wachte. In jener Nacht hätte man ohne Weiteres glauben können, dass der Mond vor dem Erscheinen der Jungen dafür gesorgt hatte, dass die Spalten Kinder bekamen. Nur wenige schliefen, und als die Sonne aufging, versuchten die Mädchen noch immer, die Jungen zu weiteren »Spielen« zu verlocken. Sie grollten, als die Jungen sagten, es sei nun Zeit, zu der Stelle zu gehen, die sie für ihre Beratungen vorgesehen hatten. Letzten Endes kam es gar nicht dazu, denn die Jungen waren nur auf ihren Zeitvertreib bedacht, für den die Bedingungen günstig waren, weil die Flut an diesem Tag besonders viele Steine gebracht hatte, die sie für eine bestimmte Sportart benötigten. Die Mädchen beschrieben diesen Tag in ärgerlichem und aufgebrachtem Ton, doch in den Aufzeichnungen der Jungen hieß es nur, dass sich die Mädchen »wie üblich beklagten«.
Folgendes geschah.
Anders als an der felsigen Küste, die die weiblichen Wesen so gut kannten, gab es an jenem Küstenstrich ein langes Stück weißen Strand, an dem vom Meer geglättete Steine lagen, die sich angenehm anfühlten. Die Mädchen nahmen sie in die Hand, spielten mit ihnen und fragten sich, wie man Halsketten und Schmuck daraus machen konnte.
Währenddessen standen die Männer dort, wo die Brandung auslief, und warfen die Steine mit einer kurzen Bewegung so, dass sie flach auf das Wasser trafen und einmal, zweimal, dreimal hüpften, bevor sie in den Wellen versanken. »Was macht ihr da?«, fragten die Frauen, und die Männer sagten: »So gute Bedingungen hatten wir noch nie«, und: »Wenn ihr nichts dagegen habt, nutzen wir das jetzt aus.« »Ja, aber wir sind hier, um darüber zu reden, wie wir die kleinen Jungen beschützen.« »Dann wartet eben ab.«
Doch sie hörten gar nicht mehr auf, warfen weiter Steine und bewunderten sich gegenseitig für ihre Geschicklichkeit, während die Frauen zuerst verwirrt, dann erstaunt und schließlich beleidigt waren. »Was soll das?«, fragten sich die Frauen. »Was machen sie da?« »Vielleicht stellen sie sich für uns zur Schau.« Die Männer waren nackt bis auf die kleinen Schurze aus Federn. Das war für manche Mädchen natürlich eine Herausforderung, eine Einladung, und sie versuchten, die Jungen von ihrem Spiel wegzulocken und mit ihnen zu spielen. Doch die Jungen hatten offenbar gar nicht vorgehabt, sich vor den Mädchen zur Schau zu stellen, denn sie waren
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