Die Kluft: Roman (German Edition)
ganz in ihr Steinewerfen vertieft. »Drei … vier … fünf …«, sagte ein Junge. »Aber ich hatte sechs«, sagte ein anderer. »Nein, hattest du nicht, es waren fünf.« So scherzten sie, ließen um die Wette Steine springen und maßen sich, wer beim Spiel mit den Steinen der Beste und Geübteste war. Wahrscheinlich werden sie sich bald langweilen, dachten die Frauen. »Was soll das nur?
Was machen sie eigentlich da?
« Aber die Männer hörten nicht auf. Es war warm, und bald wurde es heiß, denn die Sonne brannte senkrecht vom glühenden Himmel. Also zogen sich die weiblichen Wesen in den Schatten zurück, setzten sich, schlangen die Arme um ihre Beine und sahen den Männern zu. Mit welchem Geschick sie dort spielten, und wie konzentriert. Aber wozu das alles? Diesen Gedanken drückten die unzufriedenen Blicke der Frauen aus. Es war Mittag und somit Zeit, in den Schatten oder vielleicht sogar eine Höhle zu gehen, um dort zu schlafen oder zu spielen, wie es die Frauen wollten. Bald unterbrachen die Männer wie auf ein Zeichen hin ihr Spiel und fingen ein anderes an. Weil das Wasser zurückging, lagen die vom Seegras glitschigen Spitzen schwarzer Felsen frei. Alle Männer einschließlich der kleinen Jungen sprangen in waghalsigen Sprüngen von Fels zu Fels, was im Grunde unmöglich war, aber dennoch meistens gelang. Wenn einer ins Meer fiel oder sich sogar schnitt, musste er blutend weiterspielen. Sie hörten nicht auf, denn sie wollten sehen, wer weiter springen konnte, am weitesten, schneller, geschickter.
Als sich ein kleiner Junge am Knie schnitt, lief er zu den Frauen, um sich die Wunde mit Seegras verbinden zu lassen, und kehrte im Anschluss sofort zu den anderen zurück.
Obwohl die Frauen den Männern mit Nachdruck zeigten, dass das Kind blutete, sahen sie darin keinen Beweis für ihre Nachlässigkeit, sondern gaben den Frauen zu verstehen, dass diese sich – wie üblich – lächerlich benahmen.
Eine Gruppe junger Männer spazierte davon, ohne sich von den Frauen zu verabschieden oder sie auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Als es dunkel wurde, hielten die Frauen Ausschau nach den jungen Männern, doch die anderen sagten, sie seien auf die Jagd gegangen und würden in dieser Nacht wohl nicht zurückkommen. Jäger übernachteten oft an einem günstigen Platz, um den frühen Morgen zu nutzen, wenn die Tiere aus dem Wald zu den Wasserlöchern und Bächen kamen.
Niemand machte Anstalten, mit der versprochenen Verhandlung zu beginnen: Der Vorfall mit dem verletzten kleinen Jungen musste als Ersatz für die Vorwürfe dienen, die die Frauen hatten vorbringen wollen.
In jener Nacht gab es kein Fest. Manche vereinigten sich, aber nicht so wie in der Nacht davor, obwohl der Mond am Himmel stand.
Als die Frauen am frühen Morgen erwachten, stellten sie fest, dass kein männliches Wesen zu sehen war. Der Gedanke lag nahe, dass sich die Männer davongestohlen hatten, während die Frauen, ihre weiblichen Wesen, still schliefen – als wollten sie fliehen? Ja, so sah es aus, genau das hatten sie getan.
Die Frauen beschlossen, die Sache aufzugeben. Traurig und enttäuscht gingen sie an der Küste entlang zurück zu ihrem Platz. Sie fühlten sich im Stich gelassen, auch wenn ihnen später einige Jäger ein erlegtes Tier brachten und dessen Teile zur Zubereitung ans Feuer legten. Das sollte offenbar eine Entschuldigung sein.
Solche Dinge geschahen öfter, und was den
Gedächtnissen
anvertraut wurde, betraf auch die geistige Verfassung der Männer. Es wurde spekuliert. Waren sie verrückt? Wenn jemand den ganzen Tag Steine über die Wellen springen ließ, war das wohl kaum ein Zeichen geistiger Gesundheit. Ja, sie waren irre – zumindest manchmal. Vielleicht hatte der Vollmond Auswirkungen auf sie? Wenn er die Fruchtbarkeit und den Monatszyklus der Frauen bestimmte, konnte er schließlich auch einen gesunden Geist zum Wahnsinn bringen. Schließlich kam man überein, dass die Männer vielleicht nicht verrückt, aber auf jeden Fall ziemlich begriffsstutzig waren.
Dennoch gab es Mädchen, die im Tal der Männer bleiben wollten und sagten, dass ihnen das Leben dort gefiel. Doch dann kam eine nach der anderen wütend und verängstigt zurück. Sie waren schwanger, und als ihre Bäuche dicker wurden, hatte man sie fortgeschickt, obwohl sie sich nützlich machten, indem sie die erlegten Tiere zerteilten, Feuer anfachten und Abfälle sowie die Reste der Gelage wegräumten. »Geht zurück an euren eigenen Platz«,
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