Die Knoblauchrevolte
überfahren? Es war der Fahrer, der deinen Vater getötet hat. Das war ein Verbrechen, für das er vor Gericht gestellt und nach dem Gesetz verurteilt wird. Ihr habt die Leiche in die Gemeindeverwaltung gebracht und Tausende von Menschen angelockt. Das stört die Arbeit der Gemeindeverwaltung. Die Gemeindeverwaltung ist eine Ebene der Regierungsarbeit. Wer die Arbeit der Gemeindeverwaltung unterbricht, der beeinträchtigt die Regierungsarbeit. Die Regierungsarbeit zu behindern ist ein Verbrechen. Eigentlich wärst du im Recht, aber wenn du dich so aufführst, bist du nicht mehr im Recht. Ist das klar?«
Der zweite Sohn widersprach. »Du kannst sagen, was du willst, Parteisekretär Wang ist verantwortlich. Er hat seinen Dienstwagen benutzt, um Knoblauchstengel zu verkaufen. Dabei hat er meinen Vater überfahren. Jetzt versteckt er sich und läßt sich nicht blicken. Das kann niemand auf der Welt rechtfertigen.«
»Diese Behauptung ist noch abwegiger. Woher willst du wissen, daß Sekretär Wang Knoblauchstengel verkauft? Das ist eine Verleumdung, die strafbar ist. Parteisekretär Wang hat sich heute in die Kreisstadt begeben, um an einer dringlichen Sicherheitskonferenz teilzunehmen. Was ist wichtiger, die dringliche Sicherheitskonferenz oder die Angelegenheit deines Vaters? Wenn Parteisekretär Wang von der Konferenz zurückkommt, wird er Maßnahmen gegen das ungesetzliche Vorgehen treffen, das zur Störung der öffentlichen Ordnung geführt hat. Euer Verhalten kann auf keinen Fall geduldet werden.«
Da der zweite Sohn nichts mehr zu erwidern wußte, ergriff der Ältere das Wort: »Onkel Acht, mein Vater ist nun mal gestorben. Bei einem Mann von über sechzig ist so etwas keine Seltenheit. Es war ihm vom Schicksal vorherbestimmt. Sonst wäre nicht ausgerechnet er unter Hunderttausenden überfahren worden. Das war sein Schicksal. Wenn der Fürst der Unterwelt einen in der Stunde der dritten Nachtwache zu sich ruft, wird niemand bis zur fünften Nachtwache ausharren. Die Unterwelt, denke ich, hat auch ihre Regeln. Sag, Onkel Acht, was sollen wir machen?«
»Nach meiner Meinung«, sagte Assistent Yang, »solltet ihr euren Vater wieder mitnehmen und so schnell wie möglich ins Krematorium bringen. Heute nacht ist es zu spät. Geht morgen früh. Das Krematorium hat einen Jeep für den Leichentransport. Eine Fahrt kostet vierzig Yüan. Das ist in einer Zeit, wo alles teurer wird, für eine so weite Strecke ein sehr günstiger Preis. Wenn ihr morgen zum Krematorium wollt, rufe ich für euch an und bestelle den Wagen. Ich denke, das wird sich machen lassen. Bringt euren Vater nach Hause, wascht ihm das Gesicht, rasiert ihn, und wenn ihr Totenkleidung habt, zieht sie ihm an. In der Nacht könnt ihr für ihn die Totenwache halten, um eure Trauer zu zeigen. Morgen früh steht dann der Jeep vor eurer Haustür, und dann wird euer Vater, der in seinem ganzen Leben niemals Auto gefahren ist, endlich auch in diesen Genuß kommen. Ich kenne den Leiter des Krematoriums. Ich werde ihn bitten, daß man euren Vater gleich verbrennt und euch auch die Asche gibt. Wenn ihr die Urne nach Hause holt, könnt ihr alle Verwandten und Bekannten einladen und sie bitten, etwas für die Trauerfeier zu spenden. Auch nach dem Tod eures Vaters muß das Familienleben weitergehen. Aber wenn ihr euch weiterhin so aufführt, setzt ihr euch nicht nur ins Unrecht, ihr gefährdet auch eure eigene Zukunft. Habe ich nicht recht, Tante Vier?«
Ich sagte: »Ich bin eine Frau, die davon nichts versteht, ich überlasse die Entscheidung Ihnen.«
»Ich mache mir Sorgen«, sagte mein Jüngster, »daß Parteisekretär Wang alles abstreitet, wenn die Leiche erst verbrannt ist.«
»Du Narr«, sagte Assistent Yang, »der Parteisekretär ist eine Persönlichkeit. Durch seine Hände wandern täglich Riesenbeträge. Wenn ihr ihm Schwierigkeiten erspart, wird er euch bestimmt nicht zu kurz kommen lassen. Auch wenn die Gemeindeverwaltung klein ist, bleibt sie eine Ebene der Regierungsarbeit. Wenn die etwas durch ihre Finger rieseln lassen, habt ihr für den Rest eures Lebens ausgesorgt.«
»Onkel Acht«, fragte der Ältere, »man hat uns vorgeschlagen, in der Kreisstadt Anzeige zu erstatten. Was halten Sie davon?«
»Es ist dein Vater, der gestorben ist, und nicht meiner. Ob du Anzeige erstatten willst oder nicht, ist deine freie Entscheidung. Aber wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich das nicht tun. Wenn jemand gestorben ist, muß man vor allem an die Lebenden
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