Die Knoblauchrevolte
Schlaf. Die Papageien kreischten unheilvoll.
Tante Vier legte sich ihre Jacke um die Schultern und ging auf den Hof. Begleitet vom eigentümlichen Geschrei der Papageien ihres Nachbarn, blickte sie auf die Sterne am Himmel und die immer höher steigende Mondsichel. Mitternacht war vorüber und Onkel Vier noch immer nicht zurück. Sie machte sich Sorgen.
Nach dem Abendessen hatte sie zu ihrem jüngsten Sohn gesagt: »Willst du nicht deinem Vater entgegengehen?«
»Wozu?« erwiderte er. »Wenn er nicht heimkommen kann, kommt er auch dann nicht, wenn ich ihm entgegengehe, und wenn er wiederkommt, kehrt er auch dann zurück, wenn ich ihm nicht entgegengehe.«
Tante Vier war sprachlos. Schließlich sagte sie: »Wozu haben wir dich bloß in die Welt gesetzt?«
»Ich hab euch nicht darum gebeten. Wenn ihr mich gleich nach der Geburt im Klo ersäuft hättet, wäre mir eine Menge Ärger erspart geblieben.«
Tante Vier wußte nichts zu erwidern, setzte sich auf den Rand des Ofenbetts und ließ ihren Tränen freien Lauf.
Das Mondlicht tünchte den Hof gelb und warf Tante Viers Schatten auf den Boden.
Es klopfte heftig am Hoftor.
Tante Vier ging rasch aufmachen. Der Mann, der hereinstolperte, war Gao Yang.
»Tante Vier«, schluchzte er, »Tante Vier, ein Auto hat Onkel Vier totgefahren.«
Tante Vier glitt zu Boden und konnte sich nicht mehr rühren. Gao Yang zog sie hoch und klopfte ihr auf die Schultern und den Rücken. Sie spuckte kräftig aus und schrie: »Kinder, steht auf, euer Vater ist tot, ein Auto hat ihn überfahren.«
Jinjü kam mit ihrem dicken Bauch herausgelaufen, gefolgt von ihren beiden Brüdern.
2
Als der Himmel hell wurde, rollten zwei Pferdewagen in die Gasse und hielten vor dem Tor. Tante Vier lief hinaus und rief ununterbrochen den Namen ihres Mannes. Auf der Tenne drängten sich die Menschen. Sogar Gao Jinjiao war gekommen. Die Söhne standen mit beherrschter Miene neben den Wagen und schwiegen.
»Euer Vater, wo ist euer Vater?« rief Tante Vier mit ausgestreckten Armen. Der Ältere Sohn hockte sich auf die Erde, preßte den Kopf zwischen die Hände und klagte: »Mein Vater, mein lieber Vater …«
Der zweite Bruder weinte nicht. Mit einem Ruck zog er die Plastikplane herunter, die den Wagen bedeckte. Zum Vorschein kam der starre Leichnam von Onkel Vier. Sein Mund war offen, die Augen geweitet, an seinen Wangen klebte Erde.
Alterchen, Alterchen, dein Tod ist so grauenhaft. Ich streichle dein Gesicht, ich streichle deine Hände. Dein Gesicht ist eiskalt, deine Hände sind eiskalt. Gestern abend warst du noch ein lebendiger Mensch, und heute morgen bist du ein starrer Leichnam.
Tante Vier tastete über Onkel Viers Glatze, berührte seine Ohren. Er hatte eine abgetragene wattierte Jacke an, die seinen mageren dunkelbraunen Bauch frei ließ. Seine Hose war zerfetzt, die Beine ein Brei aus Blut und Fleisch.
Alterchen, du bist ein Bauer. Eigentlich sollte dich nicht so schnell etwas umbringen. Von einem Stoß gegen die Beine stirbt man nicht gleich. Sie fuhr über seinen eiskalten Kopf und suchte nach einer Wunde. In der Mitte des Scheitelbeins spürte sie eine hühnereigroße Delle. Das ist es also, Alterchen, sie haben dir den Schädel zerschmettert, und die Knochensplitter sind dir ins Gehirn gedrungen. Daran bist du gestorben.
Zwei Nachbarinnen zogen Tante Vier fort. Sie biß die Zähne fest zusammen und hielt den Atem an. Gleich würde sie erstickt sein. Sie hörte noch, wie Jinjü nach Vater und Mutter jammerte. Mit Eßstäbchen versuchten zwei Frauen, Tante Viers Mund zu öffnen. »Sachte, sachte, mach die Zähne nicht kaputt«, sagte die, die ihren Kopf hielt, zu der, die mit den Eßstäbchen hantierte. Tante Viers Mund ging auf. Kaltes Wasser wurde hineingegossen. Sie kam wieder zu sich.
Auf dem anderen Pferdewagen lag die tote Kuh auf der Seite, und ihre Beine ragten wie Maschinengewehrläufe über den Rand des Leiterwagens. Das Kalb in ihrem aufgetriebenen Leib bewegte sich.
Unter Weinen und Wehklagen verging die Zeit. Ein Blick zum Himmel zeigte, daß die Sonne schon hoch stand. Dorfvorsteher Gao Jinjiao erteilte dem ältesten Sohn einen Rat: »Mit deinem Vater ist es nun einmal so gekommen. Weinen bringt dich nicht weiter. Heute ist ein heißer Tag. Wenn man die Leiche lange liegenläßt, fängt sie an zu stinken. Er muß schnell beigesetzt werden. Zieh deinem Vater einen neuen Anzug an, bestell einen Wagen und bring ihn zum Krematorium in die Kreisstadt. Die tote Kuh müßt ihr
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