Die Knoblauchrevolte
ihren Köpfen und die Treppe unter ihren Füßen bebten. Die Menschenmenge rannte um ihr Leben. Gao Yang floh mit Tante Vier durch den Haupteingang. Einen Augenblick mußte er an die schwarzen und roten Goldfische denken, aber das war nur ein flüchtiger Gedanke. Tausend Köpfe waren in Bewegung, zweitausend Beine stießen gegeneinander. Die zu Boden Getrampelten schrien gellend. Gao Yang hielt Tante Vier ganz fest an der Hand. Wie auf einer Wolke schwebten sie durch den Hof der Kreisverwaltung. Die Gesichter von sieben oder acht gewehrtragenden und knüppelschwingenden Polizisten huschten an ihnen vorüber.
3
»Warst du der Anstifter bei der Zerstörung des Büros des Kreisdirektors?« fragte der in der Mitte sitzende Polizist in strengem Ton.
»Beamter«, sagte Gao Yang, »ich wußte nicht, daß es das Büro des Kreisdirektors war. Als ich erfuhr, daß es sich um das Büro des Kreisdirektors handelte, habe ich sofort aufgehört.« Er hatte sich hingekniet.
»Setz dich ordentlich hin«, befahl der Polizist. »Soll das etwa heißen, daß man jedes andere Büro kurz und klein schlagen darf?«
»Beamter, ich weiß auch nicht, was in mich gefahren war … Beamter, ich bin immer ehrlich gewesen und habe nie etwas Schlechtes getan.«
»Wenn du nicht so anständig und ehrlich wärst, hättest du wohl das Gebäude des Staatsrats in Brand gesteckt«, spottete der Beamte.
»Ich habe das Feuer nicht gelegt. Das war Tante Vier.«
Die Polizistin gab dem in der Mitte sitzenden Beamten ein Blatt Papier, das dieser vorlas. Dann fragte er Gao Yang: »Ist das deine Aussage?«
»Das ist meine Aussage.«
»Dann unterschreib.«
Ein Polizist schleppte ihn an den Tisch. Die Polizistin reichte ihm einen Füller. Als er zum Schreiben ansetzte, zitterte seine Hand, und ihm fiel einfach nicht ein, ob man das Wort Yang mit drei oder zwei Querstrichen schrieb. Die Polizistin sagte: »Drei Querstriche.«
»Bringt ihn zurück in die Zelle.«
»Beamter!« Gao Yang warf sich auf die Knie und flehte: »Beamter, bringt mich nicht in die Zelle zurück.«
»Weshalb nicht?«
»Sie haben sich gegen mich zusammengetan und verprügeln mich ständig. Ich flehe Sie an, geben Sie mir eine andere Zelle.«
»Laßt ihn den Todeskandidaten bewachen!« sagte der in der Mitte sitzende Polizist zu seinen Nebenleuten.
»Nummer neun, bist du bereit, einem zum Tode Verurteilten Gesellschaft zu leisten?«
»Gerne, wenn ich nicht in die alte Zelle zurück muß.«
»Gut. Du mußt aufpassen, daß er sich nicht das Leben nimmt. Das ist eine angenehme Aufgabe. Dafür gibt es zu jeder Mahlzeit einen Kloß extra.«
4
Der zum Tode Verurteilte war ein Mann mit gelbem Gesicht. Er hatte keine Barthaare, und seine tiefliegenden grünen Augen, die ständig in Bewegung waren, machten Gao Yang angst.
Als er die Todeszelle betrat, wurde sofort klar, daß er einen großen Fehler gemacht hatte. In der Zelle gab es nur eine Pritsche und eine verfaulte Strohmatratze auf dem Boden. Der Verurteilte trug Hand- und Fußfesseln. Er kauerte in einer Ecke und starrte Gao Yang feindselig an.
Gao Yang verbeugte sich und sagte: »Großer Bruder, man will, daß ich dir Gesellschaft leiste.«
Der Todeskandidat verzog den Mund zu einem Lächeln. Sein Gesicht wirkte wie aus Gold geschmiedet, und auch seine Zähne schienen aus Gold zu sein.
»Komm her, komm her«, sagte der Todeskandidat mit einem Nicken.
Gao Yang war etwas mulmig zumute, doch dann machte er sich klar, daß die Hand- und Fußfesseln den anderen so sehr behinderten, daß wohl kaum etwas passieren würde, und er rückte zögernd vor.
Der zum Tode Verurteilte lächelte, nickte mit dem Kopf und ließ ihn immer näher kommen.
»Großer Bruder, was kann ich für dich tun?«
Die Frage war kaum heraus, da schlug ihm der Todeskandidat mit aller Kraft die Stahlkette seiner Handfessel gegen den Kopf. Gao Yang schrie »Mutter!« und floh, sich wälzend und kriechend, zur Tür. Der Gefesselte sprang auf, das Gesicht von Wut verzerrt, und stürzte sich mit rasselnden Ketten auf ihn. Gao Yang schlüpfte unter seinen ausgestreckten Armen hindurch und rettete sich auf die Pritsche, von wo der Verurteilte ihn wieder in Richtung Tür trieb. Das wiederholte sich mehrere dutzendmal. Dann ließ sich der Todeskandidat auf die Pritsche fallen und sagte zähneknirschend: »Wenn ich dich erwische, beiße ich dich tot. Wenn ich schon sterben muß, nehme ich wenigstens noch einen mit.«
In dieser Nacht verausgabte Gao Yang sich völlig.
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