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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Er mußte sich zwingen, nicht einzuschlafen. Daß in der Todeszelle die ganze Nacht das Licht brannte, gab ihm ein gewisses Gefühl der Sicherheit. Um rechtzeitig hochspringen und fliehen zu können, versuchte er, einen möglichst großen Abstand zwischen sich und den Zellengenossen zu legen. Er lag zusammengerollt neben der eisernen Tür.
    Der zum Tode Verurteilte hielt die ganze Nacht die grünen Augen offen und stand jedesmal auf, wenn Gao Yang einzunicken begann. Dieser jedoch fuhr beim kleinsten Kettenrasseln sofort in die Höhe, um für eine neue Runde gerüstet zu sein.
    Als es hell wurde, sank der Kopf des Verurteilten kraftlos an die Wand, und als er die Augen schloß, wirkte er wie ein Toter. Als Kind hatte Gao Yang spannende Geschichten über das Verhalten von Leichen gehört. In einer dieser Geschichten hieß es: Mitten in der Nacht, wenn alles still ist, werden die Toten wieder lebendig und machen überall im Haus Jagd auf die Lebenden. Erst beim ersten Hahnenschrei legt sich der Tote wieder hin. In der zurückliegenden Nacht war es Gao Yang ähnlich ergangen. Es gab nur einen Unterschied: Wenn man bei einem Verstorbenen Totenwache hielt, konnte man damit viel Geld verdienen, aber für das Bewachen eines Todeskandidaten bekam man bloß einen Kloß zusätzlich.
    In der alten Zelle war die Brutalität der anderen Häftlinge schwer zu ertragen gewesen. Aber in der Todeszelle hatte er die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Das war genauso unerträglich.
    Wenn das so weitergeht, dachte er, bin ich in einem Monat tot.
    Alles, was er tat, war falsch.
    Herr im Himmel, beschütze mich und laß mich wieder raus. Wenn ich draußen bin, werde ich mich über nichts beschweren, nicht schimpfen und niemanden schlagen, selbst wenn man mir auf den Kopf scheißt.

Siebzehntes Kapitel
    Arbeitet, Leute, im Schweiß eures Angesichts,
    bohrt Brunnen, schöpft Wasser gegen die Dürre.
    Bewässert ihr die Knoblauchstangen,
    so wachsen sie in jeder Nacht einen Zoll,
    und jeder Zoll ist pures Gold.
    Aus einem Lied, das Zhang Kou während der großen Trockenheit im April sang, um die Massen zur Bekämpfung der Dürre anzuspornen
1
    Gao Ma wurde als Schwerverbrecher in einer Einzelzelle untergebracht. Das Mondlicht, das durch das vergitterte Fenster hereindrang, weckte Erinnerungen in ihm.
    Damals war ich glücklich. Im Brunnen stand das Wasser einen halben Meter hoch. Ich schöpfte es, um den grünen Knoblauch zu bewässern. Am Himmel stieg langsam der Mond in die Höhe und wurde dabei immer kleiner und heller. Über die Felder wehte eine frische Brise. Die Knoblauchsprossen glänzten wie Silber, und das Wasser, das zwischen den einzelnen Reihen hindurchfloß, glich kriechenden Silberschlangen. Damals war ich voller Hoffnung und Zuversicht. Ich hatte alle meine Hoffnungen auf die Knoblauchernte gesetzt. Die Knoblauchstengel besiegelten mein Schicksal. Jetzt ist alles aus. Ich habe nichts mehr.
    »Der Schweinehund von Eichmeister hat meine Waage beschlagnahmt.«
    »Du darfst hier nicht fluchen«, sagte der in der Mitte sitzende Polizist.
    »Er hat behauptet, meine Gewichte seien falsch. Ich habe protestiert. Da hat er mit einem Fußtritt meinen Waagebalken zertrümmert. Außerdem hat er mir noch eine Geldstrafe aufgebrummt. Der Preis für Knoblauchstengel ist von sechzig Fen pro Pfund auf zehn Fen gesunken. Zuletzt waren es sogar nur noch drei Fen. Der Liefervertrag für Knoblauchstengel, den wir mit anderen Kreisen abgeschlossen hatten, ist für ungültig erklärt worden, und wenn Leute von auswärts kamen, um unseren Knoblauch zu kaufen, hat unsere Genossenschaft sie vertrieben. Das alles beweist, daß sie gegen die Knoblauchbauern waren. Und je länger ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich. Deshalb bin ich auf den Wagen gesprungen und habe die beiden Parolen gerufen, die man mir zum Vorwurf macht. Die erste war: Nieder mit den korrupten Beamten! Die zweite hieß: Nieder mit der Bürokratie! Wenn ihr mich deshalb verurteilen wollt, bitte sehr, ich bin alleinstehend, mir ist alles egal. Ihr könnt mich enthaupten, erschießen oder lebendig begraben, ganz wie ihr wollt. Ich hasse euch verfluchten Beamtenhunde. Das einzige, was ihr könnt, ist Leute schikanieren. Ich hasse euch.«
    »Warum bist du dem Sozialismus so feindlich gesinnt?« fragte der in der Mitte sitzende Polizist.
    »Euch hasse ich, gegen den Sozialismus habe ich nichts.«
    »Für dich ist der Sozialismus wohl nur ein Aushängeschild«, meinte der Polizist.

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