Die Knoblauchrevolte
»Aber der Sozialismus ist eine Gesellschaftsform, die nicht abstrakt ist, sondern konkret. Sie manifestiert sich im Kollektiveigentum der Produktionsmittel und im Verteilungssystem.«
»Und in korrupten Beamten wie euch, nicht wahr?« sagte Gao Ma wütend.
Der Polizist schlug verärgert mit der Faust auf den Tisch: »Gao Ma, ich verhöre dich im Namen der Justiz. Das hier ist keine Diskussionsveranstaltung. Du mußt aufrichtig und ehrlich gestehen, wie du die Massen zum Aufruhr aufgehetzt, dich selbst am Verbrechen des Aufruhrs beteiligt hast. Früher warst du Soldat, dann warst du Reservist. Jetzt bist du ein Verbrecher, der sich seiner Verhaftung entziehen wollte, dann aber doch gefaßt wurde.«
»Ich habe euch schon einmal gesagt, ihr könnt mich erschießen, enthaupten oder lebendig begraben, ganz wie ihr wollt. Ich hasse euch, weil ihr korrupte Beamte seid, die unter dem Deckmantel der Kommunistischen Partei den Ruf des Kommunismus ruinieren. Ich hasse euch!«
2
»Gao Ma«, quengelte Jinjü, »erzähl mir von deinem Verhältnis mit der Schwägerin des Stabschefs.«
»Es war nicht die Schwägerin des Stabschefs, es war die Schwägerin des Regimentskommandeurs.«
»Dann erzähl mir, was mit der Schwägerin des Regimentskommandeurs war.«
»Sie wollte mich heiraten, aber ich konnte ihren Mundgeruch und ihre gezierte Art nicht ertragen. Außerdem habe ich sie nicht geliebt.« Als er das Wort »geliebt« aussprach, hatte er das Gefühl, daß es in diesem Zusammenhang unpassend war. »Ich habe sie nicht geliebt, aber ich wollte mit ihrer Hilfe Offizier werden, obwohl ich das Pack haßte. Ich habe gemein gehandelt, und daß ich nicht befördert wurde, ist mir recht geschehen.«
»Und deine Liebe zu mir, ist die echt oder falsch?«
»Nach allem, was wir beide gemeinsam durchgestanden haben, fragst du das noch?«
»Wenn du damals Offizier geworden wärst, hättest du mich nie geliebt.«
»Wenn sie mich zum Offizier befördert hätten, wäre ich ein schlechter Mensch geworden.«
»Wenn du Offizier geworden wärst, hättest du bestimmt die Schwägerin des Regimentskommandeurs geheiratet.«
»Ich sage dir, meine Beförderung war schon beschlossene Sache. Und ich dachte mir, wenn ich sowieso Offizier werde, brauche ich nicht mehr mit der Schwägerin des Regimentskommandeurs zu gehen. Da hat der Regimentskommandeur meinen Beförderungsbefehl zerrissen.«
»Na großartig«, sagte Jinjü zähneknirschend.
»Wenn er das nicht gemacht hätte, wäre ich nicht dein Mann geworden.«
»Ach, du hast mich also nur deshalb genommen, weil du keine Bessere gefunden hast«, sagte Jinjü gekränkt und brach in Tränen aus.
Gao Ma streichelte beruhigend ihre Schultern. »Weine nicht, meine liebe Frau. Wer jung ist, macht Fehler. Das kommt vor. Im Augenblick habe ich nur einen Gedanken, nämlich so schnell wie möglich die Knoblauchstengel zu verkaufen, um das Geld aufzubringen, das wir deinen hartherzigen Eltern geben müssen, damit wir heiraten und in Ruhe und Frieden zusammenleben können. Wozu Offizier werden? Ein Offizier muß sein Gewissen verkaufen, und wer dazu nicht bereit ist, der taugt nicht zum Offizier.«
»Nummer einundfünfzig, ich habe von deiner ungewöhnlichen Liebesgeschichte mit dem Mädchen Jinjü aus deinem Dorf gehört.« Ein Rechtsanwalt mit blassem Gesicht saß in Gao Mas Zelle auf der Pritsche. Gao Ma hockte in einer Ecke und starrte den Besucher ärgerlich an. Der Rechtsanwalt lächelte. »Ich habe den Eindruck, daß du auch mich ablehnst. Junger Mann, du bist zu radikal. Die große Mehrheit der Funktionäre in Partei und Regierung ist in Ordnung.«
»Alle Raben sind schwarz«, erwiderte Gao Ma.
»Junger Mann, du mußt kühles Blut bewahren. Ich bin nicht hier, um mich mit dir zu streiten. Ehrlich gesagt bin ich gekommen, weil ich dich verteidigen möchte. Du mußt mir vertrauen. Du darfst dich nicht so hängenlassen.«
»Ich habe mein halbes Leben Ungerechtigkeiten einstecken müssen«, sagte Gao Ma. »Jetzt reicht es.«
Der Rechtsanwalt kramte eine Schachtel Zigaretten hervor und bot Gao Ma an. »Rauchst du?« Gao Ma schüttelte den Kopf. Der Anwalt brannte sich selbst eine an und nahm einen Zug. Er blätterte einige Papiere durch, die mit Bleistift beschrieben waren. »Ich habe deine Akte studiert. Ich habe auch dein Dorf besucht, um deine persönlichen Verhältnisse zu untersuchen. Zuerst muß ich eins klarstellen. Du bist am 28. Mai dieses Jahres gewaltsam in die Kreisverwaltung
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