Die Knoblauchrevolte
hinauf. Aus der aufgebrochenen Wunde floß Eiter, der ihm in den Schuh lief. Weil ihm die Vorstellung, die nagelneuen Schuhe zu ruinieren, in der Seele weh tat, bat er die Polizisten: »Beamte, erlauben Sie mir, den Eiter aus meinem Fuß herauszudrücken. Dann gehe ich weiter.«
Aber die beiden Polizisten stellten sich taub und reagierten überhaupt nicht auf seine Bitte. Als sie die Eisenbahnschienen hinter sich hatten, kam ein Güterzug angefahren, dessen Räder einen solchen Luftzug aufwirbelten, daß es Gao Yang fast die Hose auszog. Kaum war der Güterzug vorbei, hörte es auf zu regnen. Ein kleiner Hahn mit noch nicht voll ausgewachsenem Gefieder hüpfte aus einem Brennesselbusch am Wegrand. Er legte den Kopf schief und fixierte Gao Yang mit einem Auge. Während dieser noch darüber nachdachte, wie ein Hahn in diese Wildnis kam, sprang der Vogel ihn mit gesenktem Kopf und langgestrecktem Leib an und hackte mit dem Schnabel in die Eiterbeule an seinem Fußgelenk. Vor Schreck und Schmerz hätte Gao Yang sich beinahe dem Eisengriff des Mageren und des Fetten links und rechts entwunden. Von der plötzlichen Bewegung erschreckt, drückten sie die Finger noch kräftiger in seine Oberarmmuskeln.
Der kleine Hahn verfolgte ihn hartnäckig und versetzte ihm einen Schnabelhieb nach dem anderen. Gao Yang schrie laut vor Schmerz, aber die Polizisten achteten nicht darauf und zerrten ihn weiter vorwärts. Als sie einen Abhang hinabstiegen, pickte sich der Hahn ein Stück Sehne aus der Wunde an Gao Yangs Knöchel. Das Tier stemmte die Klauen in den Boden, so daß seine Schwanzfedern die Erde berührten. Sein kleiner Kamm lief blutrot an, die bunten Federn sträubten sich, während es mit aller Kraft an der Sehne zerrte, die erst riß, als er sie etwa einen halben Meter weit herausgezogen hatte. Gao Yang drehte sich, halb ohnmächtig vor Schmerz, um und mußte mit ansehen, wie der Hahn die Sehne wie eine Nudel hinunterschluckte. Der magere Polizist raunte ihm zu: »Jetzt bist du die Wurzel des Übels los.« Seine Bartstoppeln waren so stachlig und er roch so stark nach Knoblauch, daß Gao Yang den Kopf zurückzog.
Nach dem Überqueren der Eisenbahnschienen bog die Kolonne nach Westen ab. Etwas später schwenkte sie nach Norden um, dann ging es im Bogen nach Osten, und zuletzt marschierten sie wieder in Richtung Süden – so jedenfalls erschien es Gao Yang. Der Weg führte sie durch ein Feld mit Kulturpflanzen, die Gao Yang noch nie gesehen hatte. An jedem Zweig der halb mannshohen Pflanzen hingen mehrere tischtennisballgroße Früchte, die dunkelgrün und mit weißem Flaum bedeckt waren. Der fette Polizist bückte sich, um eine Frucht zu pflücken. Er steckte sie sich in den Mund und kaute darauf herum, daß ihm der grüne Saft aus den Mundwinkeln floß. Nachdem er eine Weile gekaut hatte, spuckte er eine klebrige, klumpige Masse auf seine Handfläche, die Ähnlichkeit mit dem hatte, was eine Kuh wiederkäut.
Der dicke Polizist blieb stehen und hielt Gao Yang zurück. Der magere Polizist zerrte ihn weiter vorwärts. Gao Yang drehte sich zur Seite, und seine Arme wurden so stark in verschiedene Richtungen gezogen, daß die Kette zwischen seinen Handschellen unter der Spannung vibrierte. Das ging so eine Weile hin und her, dann gab der magere Polizist nach und blieb keuchend stehen. Aber seine Hände umschlossen weiterhin Gao Yangs Oberarmmuskeln. Der dicke Polizist legte Gao Yang die klebrige Masse auf die Wunde am Fußgelenk und deckte sie mit einem stachligen weißen Blatt ab. Sofort drang eine angenehme Kühle in die Wunde. »Ein altes Hausmittel«, sagte der fette Polizist. »In knapp drei Tagen ist die Wunde zugeheilt.«
Sie waren hinter der Kolonne zurückgeblieben und hatten nur noch die fremdartigen Pflanzen um sich. Kein Mensch war zu sehen, aber das dichtbewachsene Feld wies deutliche Spuren von Menschen auf. An den Stellen, wo die Kolonne hindurchmarschiert war, zeigten die weißen Unterseiten der handflächengroßen grünen Blätter nach oben. Die Polizisten trieben Gao Yang zur Eile an.
Schließlich schlossen sie auf. Gao Yang sah Eisenbahnschienen vor sich, wahrscheinlich die gleichen, die sie eben überquert hatten. Am Fuß der Böschung waren neun Gefangene und achtzehn Polizisten in einer Reihe angetreten, um auf sie zu warten. Die Kolonne hatte sich dadurch mit einemmal auf das Dreifache verlängert. Zwei Weiße hatten immer einen Schwarzen zwischen sich, jeder Schwarze zwei Weiße neben sich: eine
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