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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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vielen Gefangenen Handschellen anzulegen. Gao Yang blickte den Beamten mit dem mageren Gesicht verschämt an, denn ihm fiel wieder ein, daß er ihn im Hof der Kreisverwaltung gesehen hatte. Der Polizist gab ihm einen Stoß, damit er vorwärts ging. Die Häftlinge und Polizisten, die im Korridor vor ihm waren, setzten sich ebenfalls in Bewegung.
    Sie versammelten sich im Gefängnishof. Die Polizisten befahlen ihnen, sich in einer Reihe aufzustellen und abzuzählen. Insgesamt waren sie zu zehnt. Nach dem Aufruf wurde Gao Yang an beiden Armen gepackt. Er drehte den Kopf nach links und sah den Beamten mit dem mageren Gesicht, der ihm gerade die Handschellen angelegt hatte. Als er sich mühsam umblickte, sah er einen Polizisten mit fettem Gesicht, der seine Lippen so zusammenpreßte, daß sich das Fleisch auf seinen Wangen ausbeulte. Das verlieh ihm ein strenges Aussehen. Gao Yang hatte den unerklärlichen Wunsch, zum elektrisch geladenen Draht auf der Gefängnismauer hochzublicken, aber sein Hals machte nicht mit.
    Er ging als letzter. Die Polizisten und Gefangenen vor ihm gingen in Dreierreihe, und das so akkurat, daß er nur zwei weiße und einen schwarzen Rücken vor sich sah. Als sie durch das Tor marschierten, begriff er plötzlich, warum er den elektrischen Zaun auf der Mauer sehen wollte. Gestern in der Pause hatte er einen langen roten Stoffstreifen am elektrischen Zaun hängen sehen, und der alte Wüstling aus seiner ersten Zelle starrte unentwegt auf den roten Fetzen. Der böse und sonderbare Häftling mittleren Alters zwinkerte Gao Yang zu und erzählte: »Kumpel, morgen wirst du vor Gericht gestellt. Deine Frau war zu Besuch da.« Gao Yang riß den Mund auf und war sprachlos. Der Mann mittleren Alters wechselte das Thema. »Die alte Bestie hat den Verstand verloren. Am Elektrozaun hängt der Hosenbund seiner Schwiegertochter. Kannst du dir vorstellen, was für eine Position der Sohn der alten Bestie hat? Kennst du den Familiennamen der alten Bestie? Weißt du, auf welche Weise er seine Schwiegertochter verführt hat?« Gao Yang schüttelte zu jeder Frage den Kopf. Der Mann mittleren Alters sagte: »Ich darf es dir nicht verraten, du würdest dich zu Tode erschrecken.«
    Gao Yang empfand es als unangenehm, beim Gehen von den Polizisten an den Armen festgehalten zu werden. Als er sie abzuschütteln versuchte, packten sie nur noch fester zu. Von links hörte er: »Geh anständig.« Von rechts: »Mach keine Schwierigkeiten.«
    Zu beiden Seiten der Straße standen Menschen, die große Augen machten und den Mund aufrissen, als ob sie damit nach etwas in der Luft Schwebendem schnappen wollten.
    Sie marschierten lange Zeit. Am Himmel folgte ihnen ein Schwarm Vögel. Ein Regen aus Vogelkot fiel auf sie nieder. Er traf die Köpfe der Gefangenen ebenso wie die der Polizisten. Sie schienen alle nichts zu spüren. Keiner machte eine Bemerkung, und niemand hob die Hand, um sich den schwarzen und weißen Vogelkot von Kopf und Körper abzuwischen.
    Gao Yang kam der Weg endlos vor. Auf die Häuser zu beiden Seiten der Straße waren mit großen Schriftzeichen Losungen gemalt. Dazwischen gab es Baustellen, aus denen dottergelbe Kräne in den Himmel ragten. Am Straßenrand standen ständig Neugierige. Ein nacktärschiges Kind mit vorstehenden Zähnen warf einen Klumpen Kuhscheiße auf sie. Ob der Kleine die Gefangenen oder die Polizisten treffen wollte, ob er es auf beide abgesehen hatte oder einfach nur mit der Scheiße spielte, war unklar. Der Kuhmist brachte etwas Unordnung in die wunderliche Kolonne. Aber gleich darauf war alles wieder wie vorher.
    Sie kamen auf einen kleinen Waldweg, der so schmal war, daß drei Personen nur mit Mühe nebeneinander paßten. Die Baumstämme zu beiden Seiten waren mit grünem Moos bewachsen, das leise knisterte, wenn die Schultern der Polizisten es streiften.
    Manchmal war der Pfad mit goldenem Laub übersät, dann wieder voll stinkender grüner Pfützen, in denen sich rote Insekten tummelten, die wie winzige Krabben wirkten. Sie schienen unentwegt vom Wasser aufzufliegen und zu landen.
    Als sie die Eisenbahnschienen überquerten, begann es zu regnen. Die großen, dichten Tropfen, die auf ihre kahlgeschorenen Köpfe schlugen, waren hart wie Steine, so daß Gao Yang unwillkürlich den Kopf einzog. In diesem Moment stieß sein verletzter Fuß gegen den harten Rand einer Eisenbahnschwelle. Wie ein elektrischer Schlag schoß ihm der Schmerz an der Außenseite des Beins bis zum Oberschenkel

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