Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
Vom Netzwerk:
starr ausgestreckte, schwarzweiß gestreifte Schlange. Unter den Gefangenen war Tante Vier die einzige Frau. Und unter den Polizisten gab es nur zwei weibliche Beamte; das waren die Polizistinnen, die Tante Vier eskortierten. Die Wartenden riefen irgend etwas. Ihre Stimmen waren laut und deutlich zu hören, aber was sie sagten, konnte man nicht verstehen.
    Sie reihten sich ein, und die Kolonne formierte sich rasch wieder zu Dreierreihen. Diesmal ging es durch eine unbeleuchtete Unterführung, in der es sehr dunkel war. Am Boden hatte sich Wasser angesammelt, und die Tropfen, die vom tonnenförmigen Deckengewölbe herabfielen, schlugen mit einem hohl hallenden Geräusch auf. Mehrere Pferdewagen fuhren mit durch das Wasser platschenden Hufen dicht an der Kolonne vorbei. Hinter der Unterführung gelangten sie zu Gao Yangs Überraschung auf die Straße des Ersten Mai im Zentrum der Kreisstadt. Fünf Minuten später erreichte die Kolonne den Platz des Ersten Mai. Der Platz war übersät mit verfaulten Knoblauchstengeln, die so glatt und klebrig waren, daß Gao Yang das Schlimmste für seine neuen Schuhe befürchtete.
    Auf allen Seiten des Platzes drängten sich Bauern. Die meisten wirkten durchaus würdevoll, aber auf ihrer Würde hatte sich eine Schicht Staub abgesetzt, von der man nicht wußte, ob sie jemals wieder verfliegen würde. Nur einigen wenigen, die in die Sonne starrten, liefen Tränen aus den Augen. Unter den Weinenden befand sich ein Mann, der große Ähnlichkeit mit dem Urmenschen von Zhoukoudian bei Peking besaß, dessen Abbildung Gao Yang in der Schule gesehen hatte. Dieses seltsame Wesen, das eine fliehende schmale Stirn, einen breiten Mund und zwei zu lange Arme hatte, löste sich von der Menge, hob den Arm und rief mit verzerrtem Mund: »Hualala, hualala, in jeder Hand eine Titte, wie würze ich die Mitte?« Gao Yang verstand den Sinn der Worte nicht, aber der magere Polizist sagte verächtlich: »Ein Spinner, ein echter Spinner.«
    Sie ließen den Platz hinter sich und schwenkten in eine enge Gasse ein. Ein junger Kerl in einem Nylonblouson drückte ein Mädchen mit langen Zöpfen in eine Mauernische und knabberte mit spitzem Mund an ihrem Gesicht. Das Mädchen versuchte, ihn zurückzustoßen. Eine Schar weißer Gänse mit schlammverkrustetem Gefieder marschierte wackelnd hinter der Kolonne her, die den Rücken des Jungen streifte. Das Mädchen, das ihnen offenbar Platz machen wollte, zog den Jungen so fest an sich, daß die beiden eng zusammenklebten.
    Am Ende der Gasse lag zu Gao Yangs Erstaunen hinter einer Biegung wieder die Straße des Ersten Mai. Dort wurde gerade ein Hochhaus gebaut. Zwei höchstens elf oder zwölf Jahre alte Kinder, ein Junge und ein Mädchen, bedienten eine lärmende Zementmaschine. Der Junge schaufelte Sand in die sich drehende Trommel und schüttete Kalk nach. Das Mädchen hielt einen schwarzen Gummischlauch, aus dem sie Wasser dazugab. Das Wasser stand unter hohem Druck und ließ den Schlauch so vibrieren, daß das Mädchen ihn kaum festhalten konnte. Der Rotor des Zementmischers schlug beim Drehen scheppernd gegen die Kesselwand. Der dottergelbe Kran zog langsam eine löchrige Betonplatte in die Höhe, auf der vier Personen mit Schutzhelmen saßen und mit erstaunlicher Ruhe und Gelassenheit Karten spielten.
    Es ging noch um ein paar Ecken, dann tauchte die hohe Mauer des Gefängnisses vor ihnen auf. Der elektrisch geladene Draht auf der Mauerkrone sprühte blaue Funken. Der rote Stoffgürtel hing immer noch daran.
    »Brigadeleiter Xing«, schrie ein Polizist, »können wir nicht eine Pause machen?«
    Ein großer Mann mit dunklem Gesicht blickte erst auf seine Armbanduhr und dann zum Himmel. »Wir gehen rein und machen eine halbe Stunde Pause.«
    Das große Eisentor des Gefängnisses öffnete sich quietschend, und die Polizisten schleppten die Gefangenen hinein.
    Sie wurden nicht wieder in ihre Zellen zurückgebracht, sondern mußten sich im Kreis auf die grüne Wiese des Gefängnisses setzen, die Beine ausgestreckt, die Hände auf den Knien. Die Polizisten gingen erleichtert auseinander. Mit Gewehren bewaffnete Posten übernahmen die Bewachung der Gefangenen. Einige Polizisten gingen austreten, andere machten an einem Reck Lockerungsübungen. Nach etwa zehn Minuten kamen die beiden Polizistinnen, die Tante Vier begleitet hatten, wieder heraus. Jede trug ein rotlackiertes Tablett, auf dem zwei Sorten von Getränken in schon geöffneten Flaschen standen. Aus jedem

Weitere Kostenlose Bücher