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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Ungeduldig packte Gao Yang das Glas mit den Zähnen und nahm einen kräftigen Schluck. Etwas davon drang ihm in die Kehle und in die Luftröhre. Er hustete und verdrehte die Augen. Der alte Zheng ließ die Flasche fallen und klopfte Gao Yang auf den Rücken. Ein Schwall Wasser schoß ihm aus Mund und Nase.
    »Warum so eilig?« fragte der alte Zheng. »Trink langsam. Es ist genug Wasser für alle da.«
    Gao Yang trank in einem Zug drei Flaschen leer und war immer noch durstig. Seine Kehle brannte wie Feuer. Aber der alte Zheng machte ein so finsteres Gesicht, daß er sich nicht traute, mehr zu verlangen.
    Auch der Junge mit dem Pferdegesicht stand auf, und der alte Zheng gab ihm Wasser. Gao Yang sah mit Neid, daß der junge Mann fünf Flaschen leerte. Mißmutig dachte er: Zwei Flaschen mehr als ich.
    Tante Vier war vermutlich ohnmächtig, denn die Polizistin füllte ihre Schöpfkelle mit Wasser und schüttete es ihr über Kopf und Körper. Das Wasser, das ihren Körper traf, war hell; als es über den Boden abfloß, wirkte es grau.
    Tante Vier trug eine kurzärmlige Jacke aus Moskitonetztüll, die lange nicht mehr gewaschen worden war und ihre ursprüngliche Farbe eingebüßt hatte. Durch die Berührung mit dem Wasser wurde der Stoff wieder etwas heller. Die Jacke klebte an Tante Viers Körper und modellierte ihren spindeldürren Rücken und ihre hervorstechenden Schulterblätter nach. Sie schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Ihr Haar lag eng an der Kopfhaut an. Von ihren Haarspitzen tropfte das Schmutzwasser auf den Boden und bildete eine glänzende Lache. Der Geruch des Wassers, das an Tante Vier herablief, drehte Gao Yang den Magen um. Er befürchtete schon, Tante Vier könnte gestorben sein, da sah er, daß ihr Kopf zu zittern begann. Der weißhaarige Kopf schien zentnerschwer zu sein, denn ihn zu heben kostete ihren hageren Hals viel Kraft. Das naß gewordene Haar von Tante Vier wirkte noch dünner. Eine kahlköpfige Frau sieht viel häßlicher aus als ein kahlköpfiger Mann. Gao Yang mußte plötzlich an seine eigene kahlköpfige Mutter denken, und sein Mund spannte sich, als müßte er weinen.
    Seine kahlköpfige Mutter war ursprünglich eine rüstige Frau mit schönem weißem Haar gewesen. Aber dann kam die Kulturrevolution, und von ihrem lebhaften Geist blieb so wenig übrig wie von ihrem schönen weißen Haar, das ihr die armen Kleinbauern des Dorfes vollständig ausrissen. Das war ein im Grunde unabwendbares Unglück, denn ihr Mann war Grundbesitzer gewesen, und wem sollte man die Haare ausreißen, wenn nicht ihr? Ein Mann namens Qiuliang aus der Familie Guo, groß und stark wie ein Pferd, hatte seine Mutter an den Haaren gepackt und ihren Kopf mit aller Kraft nach unten gedrückt. Dabei schimpfte er wütend: »Runter mit dir, du alter Graukopf!« Gao Yang hatte das damals nur von weitem beobachtet, aber jetzt hatte er die Szene wieder deutlich vor Augen. Er hörte seine weißhaarige alte Mutter wimmern wie ein Kind.
    Der Wasserguß hatte Tante Vier munter gemacht. Sie bewegte ihren zahnlosen Mund und wimmerte vor sich hin wie ein kleines Mädchen.
    Aus Gao Yangs Augen sickerten salzige Tränen. Er redete sich ein: Ich weine nicht.
    Die Polizistin beugte sich zu Tante Vier hinunter und fragte mit falscher Liebenswürdigkeit: »Möchtest du etwas trinken?« Tante Vier weinte weiter, ohne zu antworten. Ihre heisere Stimme klang spitz und dünn. Sie hatte nicht mehr die Kraft und die Lautstärke, die sie eben noch ausgezeichnet hatte.
    »Keine Lust mehr, Fenster einzuschmeißen?« Die Polizistin schüttete noch eine Kelle über Tante Vier und beachtete sie dann nicht weiter.
    Sie ging mit dem Wassereimer zu Gao Yang. Weil sie eine Sonnenbrille aufhatte, konnte er ihre Augen nicht erkennen, er sah nur, daß sie ihre Lippen zu einem Strich zusammenpreßte. Unwillkürlich begann er zu zittern. Er kam sich vor wie ein Schwein, das rasiert wird. Wortlos stellte die Polizistin den Eimer hin, füllte die Kelle mit Wasser und goß es Gao Yang über die Brust. Instinktiv hob er die Schultern, zog den Kopf ein und stieß einen seltsamen Laut aus. Die Polizistin lächelte und zeigte zwei Reihen glänzendweißer Zähne, absolut ebenmäßig und sehr schön. Sie schöpfte noch eine Kelle Wasser und goß es ihm über den Kopf. Diesmal war er innerlich darauf vorbereitet und zitterte nicht mehr. Das kalte Wasser lief an ihm herab, über den Rücken, über die Brust, und je weiter es nach unten rann, desto

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