Die Knoblauchrevolte
seinen Augen erschien wieder das Bild aus der Kulturrevolution, als seine Mutter gedemütigt wurde und auf dem Boden knien mußte. Er schüttelte den Kopf, um die grünköpfigen Schmeißfliegen zu vertreiben, die das Erbrochene des pferdegesichtigen jungen Mannes angelockt hatte. Seine Mutter mußte auf Ziegelsteinen knien, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Einmal wollte sie sich mit einer Hand abstützen, um die Qual zu lindern, da trat ihr ein Fuß mit einem Lederstiefel auf die Hand, und ihre Hand blieb danach verkrüppelt, sie konnte sie niemals wieder vollständig öffnen.
»Tante Vier, Tante Vier«, rief er leise.
Tante Vier stöhnte wie zur Antwort.
Der Fahrradkünstler vom Restaurant kam wieder herangesaust. Diesmal hatte er die eine Hand am Lenker, in der anderen hielt er den Essenskorb. Zwischen den Pappeln hindurch sauste er vorbei und ließ den Geruch von Essig und Knoblauch zurück.
Gao Yang hob den Kopf und schaute nach der Sonne. Sie war ein Stück weiter gesunken. Das gleißende weiße Licht war verschwunden. Die Sonne war nur noch mild und warm. Er wußte, daß die Genossen Polizisten jetzt dabei waren, Teigtaschen mit Knoblauchessig zu verzehren. Aber hinter diesen unscheinbaren Wahrnehmungen lag etwas Bedrohliches, das ihn beunruhigte. Wenn die Polizisten mit dem Essen fertig sind, machte er sich klar, werden sie mich vom Baum losmachen und in das rotlackierte Auto verfrachten, um fortzufahren, irgendwohin. Aber ist es nicht besser, irgendwohin zu fahren, als an den Baum gekettet zu bleiben? Auf diese Frage wußte er keine Antwort. Später überlegte er sich, daß es im Grunde gleichgültig war, was geschah. »Das Herz des Volkes gleicht dem Eisen, das Gesetz gleicht einer Esse.« Wer gegen das Gesetz verstoßen hat, an dem wird das Gesetz vollstreckt. Ein frischer Windhauch berührte ihn. Die Blätter der Pappeln raschelten. Aus der Ferne hörte er den Schrei eines Esels. Bei diesem Geräusch sträubten sich ihm die Nackenhaare, und er sperrte sich gegen seine Erinnerungen.
Eine Frau mit einem Bündel im Arm betrat mit schwankenden Schritten den Hof der Gemeindeverwaltung. Er sah, daß sie sich mit dem jungen Mann am Eingang stritt. Der Wachposten wollte sie nicht durchlassen. Hartnäckig versuchte sie es immer wieder, und jedesmal wurde sie zurückgestoßen. Schließlich nahm sie den Umweg um das Pappelwäldchen.
Es war Jinjü, die mit ihrem dicken Bauch tapsig herangeeilt kam. Sie schluchzte unentwegt. Das Bündel in ihrem Arm enthielt einen runden Gegenstand, der in Größe und Form an einen Menschenkopf erinnerte. Als sie näher kam, erkannte Gao Yang, daß es eine Wassermelone war. Er traute sich nicht, Jinjü ins Gesicht zu blicken. Er stieß einen Seufzer aus und senkte den Kopf. Im Vergleich zu Jinjü war sein Schicksal nicht so schlimm, er durfte sich nicht beschweren.
»Mutter, Mutter«, hörte er Jinjü direkt neben sich weinen, »meine liebste Mutter, was haben sie mit dir gemacht?«
Ich weine nicht, sagte Gao Yang zu sich selbst, ich weine nicht, nein, ich weine nicht.
Jinjü kniete vor Tante Vier. Schluchzend umfaßte sie mit beiden Händen den weißhaarigen, schmutzigen Kopf der alten Frau und drückte ihn mit einer mütterlichen Geste an sich.
Gao Yang schniefte und schloß die Augen. Er konzentrierte sich lieber auf die Rufe, mit denen die Männer ihre Tiere von den Feldern heimtrieben. Der langgezogene Schrei eines Esels drang ihm ans Ohr. Von allen Geräuschen war ihm dieses am meisten verhaßt, daher wandte er sein Augenmerk wieder Jinjü und Tante Vier zu.
Gelbe Sonnenstrahlen fielen auf das Gesicht von Tante Vier, das Jinjü in ihren Händen hielt.
»Mutter, ich bin an allem schuld, Mutter, wach auf.«
Tante Vier öffnete langsam die Augen, von denen man nur das Weiße sah, und schloß sie wieder. Zwei große gelbe Tränen rollten über ihre Wangen.
Tante Vier streckte die weiß belegte Zunge heraus und leckte Jinjüs Stirn, wie eine Hündin ihre Jungen leckt oder eine Kuh ihr Kalb. Er fand das abstoßend, machte sich dann aber bewußt, daß sie das wohl kaum täte, wenn ihre Hände nicht hinter dem Baum gefesselt wären, und als ihm das klar wurde, verschwand das Gefühl des Ekels sofort. Jinjü packte die Wassermelone aus und brach sie mit der Faust auf. Sie stopfte ihrer Mutter rotes Fruchtfleisch in den Mund, und die alte Frau schlang es schmatzend und schlürfend hinunter und begann dabei wie ein Kind zu weinen.
Der Anblick der Melone versetzte
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