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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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eisigen Hände, die ihre Arme berührten, riefen einen tiefen Widerwillen in ihr hervor, und sie schüttelte sie ab.
    Der Ältere Bruder richtete sich auf. Traurig sagte er: »Schwester, hör auf deinen Bruder. Steh auf und weine nicht mehr. Vater und Mutter sind beide schon alt. Seit wir in den Windeln lagen, haben sie uns großgezogen. Das war nicht immer leicht. Wir sind ihre Kinder und sollten ihnen nicht unnötig Ärger machen.«
    Jinjü weinte weiter, aber der Zorn in ihrem Herzen ließ ein wenig nach.
    »An allem bin nur ich schuld. Ich habe dieses lahme Bein, mit dem ich keine Frau zum Heiraten finde, außer im Tausch gegen die eigene Schwester …« Während er das sagte, schwang er das verkrüppelte Bein vor und zurück, so daß der aus Sorghumstengeln geflochtene Zaun unter seinen Füßen knarrte.
    »Ich bin zu nichts gut.« Der Bruder hockte sich plötzlich hin, schlug sich mit den Fäusten gegen den Kopf und weinte laut. Als Jinjü ihren Bruder so verzweifelt sah, wurde ihr weich ums Herz, und ihr lautes Weinen ging in leises Schluchzen über.
    »Schwester, du sollst es gut haben im Leben, ich brauche keine Frau, ich bleibe Junggeselle, solange ich lebe.«
    Mutter kam hinzu und sagte: »Steht auf, ihr Streithähne. Was sollen bloß die Nachbarn von uns denken, wenn ihr so schreit und heult?«
    Auch Vater kam dazu und sagte ernst: »Steht auf, alle beide.«
    Der Zaun knackte, als sich der Ältere Bruder gehorsam erhob. »Vater, Mutter«, sagte er devot, »ich gehorche euch.«
    Jinjü saß steif da und rappelte sich dann auch auf.
    Der zweite Bruder war schon früher ins Haus geschlüpft und hatte das Radio auf volle Lautstärke gedreht. Es lief gerade eine in dieser Gegend populäre Oper. Der schrille Frauengesang klang fast wie ein Weinen.
    Der Ältere Bruder stellte einen kleinen Hocker hinter Jinjü, legte ihr die Hände auf die Schultern und sagte: »Setz dich, Schwester. Ein Sturm weht nicht viele Tage, ein Familienstreit hält nicht mehrere Stunden an. Wenn es darauf ankommt, sind deine Brüder immer für dich da, aber auf Außenstehende ist kein Verlaß.«
    Jinjü war so schwach, daß sie nicht stehen konnte. Unter dem Druck der Hände ihres Bruders setzte sie sich.
    Auch Vater und Mutter hatten sich gesetzt. Vater sog an seiner trockenen Pfeife. Mutter zerbrach sich den Kopf, wie sie ihre Tochter umstimmen könnte.
    Der Bruder holte Puder aus dem Haus, mischte in einem Schälchen Wasser darunter und hockte sich vor Jinjü hin, um ihre Wunde damit zu bestreichen. Es war ihr unangenehm, daß ihr Bruder sich so untertänig um sie bemühte, sie schob seine Hand weg und stieß ihn fort.
    »Sei brav«, bat der Bruder, »laß mich das auftragen.«
    Vater knurrte: »Was gibst du dich mit ihr ab? Dieses unverschämte Ding.«
    »Du mußt es wissen!« rief Jinjü.
    »Immer noch so eigensinnig!« platzte die Mutter heraus.
    Der Bruder suchte sich auch einen Schemel. Zu viert saßen sie da, und keiner sagte ein Wort.
    Ein großer Meteor durchzog die Milchstraße.
    »Vater«, fragte der Ältere Bruder beflissen, »als der Feldherr Zhu Geliang starb, fiel da nicht auch ein Meteor vom Himmel?«
    Das Radio war inzwischen zu einer Lesung aus dem Roman »Geschichte der drei Reiche« übergegangen.
    »Du darfst nicht alles glauben, was in Büchern steht«, meinte Vater verächtlich.
    »Schwester«, nahm der Ältere Bruder das Gespräch wieder auf, »kannst du dich noch erinnern, wie wir zusammen fischen gegangen sind, als du zwei Jahre warst? Ich trug dich auf meinem Rücken und führte den zweiten Bruder an der Hand. So kamen wir zum kleinen Südfluß. Am Ufer habe ich dich auf den Deich gesetzt, dein kleiner Bruder und ich haben das Netz ausgeworfen, um Fische zu fangen. Als wir nachsahen, was du machst, warst du verschwunden. Überall haben wir dich gesucht. Ohne Erfolg. Ich war zu Tode erschrocken, aber dein zweiter Bruder hatte scharfe Augen und schrie: ›Bruder, hier!‹ Du warst ins Wasser gefallen und hast wie wild darin herumgezappelt. Ich habe das Netz nach dir ausgeworfen und dich damit herausgeholt. Unser Bruder sagte: ›Was für ein großer Fisch.‹ Damals war mein Bein noch gut. Erst im nächsten Jahr bekam ich den Knochenfraß.« Er lachte leise und seufzte ein paarmal. »Im Handumdrehen sind fast zwanzig Jahre vergangen. Du bist ein großes Mädchen geworden.«
    Jinjü wußte nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie hörte den lauten Hufschlag des dattelbraunen Fohlens auf der Tenne vor dem

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