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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Augen blendete, aber gleich darauf herrschte wieder der gewohnte trübe Dämmer. Gao Yang bemerkte, daß die Zelle eng und hoch war. Eine Glühbirne in der Form eines Knoblauchstößels hing an der grau gestrichenen Decke wie ein Stern am Himmel. Die Decke war so hoch, daß nicht einmal ein auf den Schultern eines anderen Stehender sie hätte berühren können. Er verstand nicht, weshalb man die Decke so hoch gebaut hatte; das erschwerte es nur, die Glühbirnen auszuwechseln. Einen halben Meter hinter der Lampe befand sich ein kleines Dachfenster, das mit mehreren Eisenblechen zugenagelt war. Um die brennende Birne flogen Dutzende von großen Fliegen. Ihr Summen machte Gao Yang nervös. Unzählige weitere klebten bewegungslos an den Wänden.
    Der Mann, der sich zu seinen Mordabsichten bekannt hatte, war tatsächlich in den mittleren Jahren. Er nahm eine Emailleschale von der Pritsche und wischte mit den Fingern die Essensreste heraus, dann umfaßte er mit der linken Hand den Rand der Schale, ergriff mit der rechten zwei rote Eßstäbchen und schlug mit den Stäbchen rhythmisch auf die Außenkante der Schale. Der magere junge Gefangene holte ebenfalls eine Eßschale hervor. Anstatt sie jedoch als Schlagzeug zu benutzen, warf er sie aufs Bett, reckte und streckte sich nach Kräften und gähnte dabei, bis ihm Tränen aus den Augen und Schleim aus der Nase flossen.
    Der Mann mittleren Alters hörte auf zu trommeln und versetzte dem jungen Gefangenen einen Tritt. Die schweren Lederstiefel, die er trug, wogen mindestens acht Pfund. Durch die Löcher in seinen Hosenbeinen konnte man dunkle Haut und gelbes Haar sehen. Sein Tritt traf das Schienbein des jungen Mannes und entlockte ihm einen Schmerzensschrei. Er hüpfte ein paarmal hin und her und setzte sich wieder auf die Pritsche. Sein Bein betastend, sagte er: »Du Mörder, wieso trittst du mich? Gemeiner Kerl.«
    Der Mann mittleren Alters entblößte kräftige dunkle Zähne und fragte mit häßlichem Lachen: »Ist dein Vater früh gestorben?«
    »Deiner ist bestimmt schon abgekratzt«, erwiderte der Junge.
    »Mein Vater, der alte Dreckskerl, ist tatsächlich schon verreckt«, sagte der Mann mittleren Alters, und Gao Yang wunderte sich: Weshalb schimpft er seinen Vater einen alten Dreckskerl?
    »Ich habe dich gefragt, ob dein Vater früh gestorben ist?«
    »Meinem Vater geht es gut«, erklärte der junge Gefangene.
    »Dann ist dein Vater kein guter Vater und außerdem ein alter Dreckskerl. Hat er dir nicht beigebracht, daß man in Gegenwart anderer Leute nicht gähnen und sich recken darf?«
    »Was ist dabei?«
    »Es bringt Unglück«, sagte der Mann mittleren Alters ganz ernst. Er spuckte auf den Boden und trat erst dreimal mit dem linken, dann ebensooft mit dem rechten Fuß in die Spucke.
    »Du hast vielleicht Probleme.« Der Junge rieb sein Bein und schimpfte leise: »Du gehörst erschossen, du Mörder.«
    Der Mann mittleren Alters lachte hämisch. »Mich wird man nicht erschießen. Ein Todeskandidat bekommt ein Einzelzimmer.«
    Der Alte schob die beiden großen Blechschüsseln durch die viereckige Öffnung am unteren Ende der Tür und leckte sich ununterbrochen die Lippen, wie eine Eidechse, die Zigarettenteer gefressen hat. Seine fauligen, schiefen Zähne und seine tränennassen, entzündeten Augen, die ununterbrochen zwinkerten, machten Gao Yang angst.
    Auf dem Flur war es ganz still. Nur das Klappern des Löffels im Blecheimer war zu hören, aber das Geräusch war noch weit entfernt von ihrer Zelle. Der Alte mit dem gekrümmten Rücken stellte sich vor das hohe, kleine Fenster in der Tür und versuchte sich an den Gitterstäben hochzuziehen, um hinauszuschauen. Da er sehr klein war, konnte er wohl nichts sehen. Er gab es auf und kratzte sich Ohr und Wange, wie ein ungeduldiger Affe. Dann legte er sich auf den Boden, um durch die Öffnung am unteren Ende der Tür zu schauen. Aber wahrscheinlich konnte er außer den Blechschüsseln nichts erkennen. Er stand auf, leckte sich weiter die Lippen und zwinkerte mit den Augen. Gao Yang konnte den Anblick nicht ertragen und drehte sich angewidert weg.
    Das Klappern des Eisenlöffels im Blecheimer kam immer näher. Der Alte leckte sich schneller über die Lippen und zwinkerte heftiger mit den Augen. Der Mann mittleren Alters und der junge Gefangene nahmen ihre Eßschüsseln auf und stellten sich an die Tür.
    Gao Yang wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Er saß steif auf der niedrigen grauen Pritsche und starrte die

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