Die Knoblauchrevolte
einen Stoß: »Runter!«
Neben Jinjü saß Gao Ma an der Wagentür. »Komm raus!« rief der Ältere Bruder von unten. Gao Ma sprang mit gekrümmtem Rücken vom Wagen. Der zweite Bruder stieß Jinjü aus dem Jeep.
Es war gegen zwölf Uhr mittags. Die Paprikafelder des Kreises Grünes Pferd glichen einer Ebene blutrot fließenden Feuers. Die Jute auf der anderen Seite der Straße war ein Kontinent für sich, dessen Ausmaße unabsehbar waren. Vögel huschten lautlos über die Spitzen der Jute. Als Jinjü die Jute sah, wurde sie von einer unerwarteten Ruhe erfaßt, als ob sie alles, was heute geschah, schon einmal verschwommen erlebt hätte und es erst heute ganz klar würde.
Sie hatten ihr die Arme mit einem Strick auf dem Rücken zusammengebunden. Dabei waren sie noch so rücksichtsvoll gewesen, nur ihre Handgelenke zu fesseln; mit Gao Ma dagegen waren sie sehr viel unsanfter umgegangen. Sie hatten ihn so verschnürt, daß das dünne Seil tief in seine Schultern einschnitt und der Hals unnatürlich verlängert wirkte. Gao Ma so zu sehen war ihr unerträglich.
Assistent Yang ging ein paar Schritte ins Jutefeld, um seine Notdurft zu verrichten. Dabei drehte er sich um und rief: »Ihr Brüder Fang seid mir zwei richtige Schlappschwänze.«
Der Ältere Bruder sperrte den Mund auf, brachte aber keinen Ton hervor und glotzte Assistent Yang nur wortlos an.
»Ihr dummen Ochsen laßt zu, daß eure eigene Schwester entführt wird. Wenn ich an eurer Stelle wäre …« Assistent Yang warf Gao Ma einen drohenden Blick zu.
Ohne daß Assistent Yang noch ein Wort verlieren mußte, stürzte sich der zweite Bruder mit geballter Faust auf Gao Ma und versetzte ihm einen Hieb auf die Nase.
Gao Ma stieß einen Schrei aus und wich drei Schritte zurück, bevor er wieder Halt fand. Seine Arme zuckten, als wollte er sich ans Gesicht fassen. Offenbar war er von dem Schlag so benommen, daß er seine Fesseln vergessen hatte.
»Schlag ihn nicht, Bruder, schlag lieber mich!« schrie Jinjü und stellte sich schützend vor Gao Ma. Ihr Bruder versetzte ihr einen Fußtritt, der sie ins Jutefeld schleuderte. Im Fallen riß sie die Jutestengel mit sich und rollte über den Boden. Das Seil, das ihre Handgelenke band, lockerte sich. Sie blieb zusammengekrümmt liegen und umfaßte ihren Unterschenkel, der schrecklich schmerzte. Vielleicht war er gebrochen.
»Ich kann dir nicht verzeihen, du schamlose Schlampe!« schimpfte der zweite Bruder. Gao Mas Gesicht war bleich. Aus seinen Nasenlöchern floß Blut, zunächst schwarz – dann hellrot.
»Menschen schlagen ist gegen das Gesetz«, stammelte Gao Ma. Seine Gesichtsmuskeln zuckten, sein Mund bewegte sich unkontrolliert.
»Daß du Menschen entführst, das ist gegen das Gesetz«, entgegnete Assistent Yang. »Du hast die Frau eines anderen entführt und drei Ehen zerstört. Dafür bekommst du zwanzig Jahre Gefängnis.«
»Ich habe nicht gegen das Gesetz verstoßen.« Gao Ma schüttelte den Kopf, um das Blut aus der Nase zu bekommen. »Jinjü ist nicht mit Liu Shengli auf dem Standesamt gewesen. Deshalb ist sie nicht die Frau eines anderen. Wenn ihr sie zwingen wollt, Liu Shengli zu heiraten, dann ist das ein Verstoß gegen das Ehegesetz. Wenn jemand verurteilt wird, dann ihr.«
»Was für eine scharfe Zunge«, spöttelte Assistent Yang.
Der zweite Bruder rammte Gao Ma die Faust in den Magen. Gao Ma rief nach seiner Mutter, wand sich wie eine Krabbe, schwankte vorwärts und rückwärts und fiel schließlich kopfüber zu Boden. Beide Brüder sprangen auf Gao Ma zu, und der zweite Bruder trat den liegenden Gao Ma in die Brust und in den Rücken. Er war ein erfahrener Kung-Fu-Kämpfer und trainierte jeden Abend auf dem Dreschplatz. Jeder Fußtritt von ihm ließ Gao Ma, der sich krümmte und laut schrie, über den Boden rollen. Der Ältere Bruder wollte ihn auch treten, aber sein verkrüppeltes Bein gab seinem Körper nicht genug Halt, und wenn er einmal sicher stand, hatte sein Bruder Gao Ma schon weiter fort befördert. Endlich gelang es auch dem älteren Bruder, einen Tritt anzubringen, aber weil er zu viel Schwung genommen hatte, stürzte er selber zu Boden. Er lag auf der Straße und brauchte ewig, um wieder hochzukommen.
»Schlagt ihn nicht! Ich habe ihn gebeten, mit mir fortzulaufen!« Jinjü zog sich an den glatten Jutestengeln hoch, doch als sie sich auf das verletzte Bein stützte, fuhr ihr der entsetzliche Schmerz wie ein elektrischer Schlag ins Gehirn. Sie stürzte erneut zu Boden.
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