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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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mitsamt der Erde aus und legte es in einiger Entfernung ab. Dann grub er. In etwa einem Meter Tiefe begann klares Wasser aus dem sandigen Erdreich hervorzusickern.
    Er trug seine Mutter an den Rand des Grabes und legte sie nieder. Er fiel vor ihr auf die Knie und warf sich dreimal der Länge nach auf den Boden. »Mutter«, sagte er laut, »der Himmel schickt uns Regen, in der Erde sammelt sich Wasser. Dein Sohn hat nicht die Möglichkeit, dir einen Sarg zu kaufen. Ich hülle dich in diese Decke. Mutter, du mußt damit zufrieden sein.«
    Behutsam legte er den Leichnam seiner Mutter in die Grube. Er pflückte zartgrüne Kräuter und bedeckte damit ihr Gesicht. Dann schaufelte er die Erde ins Grab. Um zu verhindern, daß zuviel Erde übrigblieb, sprang er von Zeit zu Zeit in die Grube und trat die Erde fest. Bei dem Gedanken, daß er auf dem Körper seiner Mutter herumtrampelte, schossen ihm Tränen in die Augen, und in seinen Ohren schienen Wespen zu summen. Zum Schluß holte er die ausgestochenen Soden und drückte sie ordentlich fest. Er schaute zum Himmel hinauf. Schwarze Wolkenmassen ballten sich zusammen. Blutrote Blitze schnellten wie rasende Schlangen zwischen den Wolkenhaufen hin und her. Ein kühler Wind strich über das offene Gelände. Wie Seidenbanner knatterten die Blätter von Mais und Sorghum auf den Feldern. Am Grab der Mutter stehend, überblickte er die Gegend. Im Norden floß der Glatte Bach, im Osten verlief ein Bewässerungskanal, im Westen erstreckte sich eine weite Ebene, und im Süden erhob sich der in aufsteigende Nebel gehüllte Vulkankegel des kleinen Zhou-Bergs. Gao Yang fühlte sich getröstet. Er kniete nieder, warf sich dreimal der Länge nach zu Boden und sagte leise: »Mutter, dies ist ein guter Platz für dein Grab.«
    Als er sich aufrichtete, war ihm nicht mehr so elend zumute, nur in seinem Herzen fühlte er noch vereinzelte Stiche.
    Er nahm den Spaten in die Hand und durchquerte wieder den Fluß. Das Wasser stieg schnell und reichte ihm bereits bis ans Kinn.
    Der junge Häftling tastete sich ans vergitterte Fenster, öffnete die kleine Klappe und pinkelte in den Plastikeimer. Damit wirbelte er den Inhalt des Eimers auf, und der Geruch in der Zelle wurde noch widerwärtiger. Zum Glück war das Glas des vergitterten Fensters schon lange zerbrochen, am unteren Ende der Eisentür gab es eine Öffnung zum Durchreichen des Essens, und unter dem Dach befand sich noch eine kleine Luke. So konnte nachts ein kühler Wind eindringen, und die Luft in der Zelle war erträglich.
    Gao Yang ließ sich nicht von der Umgebung ablenken, sondern dachte wieder daran, wie es damals war.
    Als er den Fluß hinter sich gebracht hatte, nahm der Regen wieder an Stärke zu. Grau in grau gingen Himmel und Erde ineinander über. Das Prasseln auf den Feldern klang wie das Rauschen einer Brandung. Zu Hause angelangt, zog er sich nackt aus, wrang seine alte Jacke aus und hängte sie zum Trocknen auf. Im Haus tropfte es an vielen Stellen durch. Besonders betroffen waren die Stellen, an denen die Dachbalken auf den Lehmziegelmauern auflagen. Rotes Schmutzwasser floß an den Wänden hinunter und verwandelte den Zimmerboden in Schlamm. Zunächst verteilte er noch alte Schüsseln und Krüge, um das Regenwasser aufzufangen. Später saß er mit verschränkten Armen auf dem Ofenbett und ließ alles geschehen.
    Er lag lang ausgestreckt auf dem Rücken und beobachtete den dunklen Streifen des Himmels hinter dem vergitterten Fenster. Das damals, dachte er, war die unglücklichste Zeit meines Lebens. Der Vater tot, die Mutter gestorben und das Dach undicht.
    Sein Blick schweifte von den verschmutzten Dachbalken auf den Boden, wo die vom Regen aus ihren Löchern vertriebenen Mäuse auf den Herd sprangen, um dem Untergang zu entgehen. Er dachte daran, sich an einem Dachbalken zu erhängen, fand aber nicht die nötige Entschlußkraft.
    Es hörte auf zu regnen. In breiter Bahn schoß Sonnenschein ins Haus. Er zog die halbtrockene Jacke an und lief in den Hof, um sich die Schäden am Dach anzuschauen. Er rechnete mit dem Schlimmsten. Der Sicherheitsdirektor und sieben Milizsoldaten kamen in seinen Hof gerannt. Sie hielten Gewehre vom Kaliber 38 in den Händen. Der Sicherheitsdirektor und die Soldaten trugen schwarze Regenstiefel, hatten sich leere Kunstdüngersäcke aus Plastik um die Schultern gehängt und spitze Strohhüte aus Sorghumhalmen aufgesetzt. Nebeneinander aufgereiht, kamen sie näher wie eine furchteinflößende

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