Die Knoblauchrevolte
erschien ein Gesicht und fragte: »Was ist das für ein Aufruhr?«
»Kein Aufruhr, Beamter, Nummer neun liegt im Sterben.«
»In eurer Zelle ist immer was los. Ihr müßt warten, bis der Diensthabende zum Dienst erscheint, dann werde ich Meldung erstatten.«
»Bis dahin ist der Mann tot.«
Der Wärter richtete von der Tür aus den Lichtstrahl seiner Taschenlampe auf Gao Yangs Gesicht. Gao Yang schloß die Augen, um dem starken Lichtreiz zu entgehen.
»Er hat ein rosiges Gesicht.«
»Das ist das Fieber.«
»Eine fiebrige Erkältung, das kommt alle Tage vor. Wozu die Aufregung?« Der Wärter drehte sich um und ging.
Gao Yang geriet wieder in den qualvollen Wechsel von Hell und Dunkel. Vater und Mutter trieben ihm die kleinen Dämonen zu, um ihn zu peinigen. Er spürte ihren Atemhauch und nahm ihren Geruch wahr, aber sobald er die Hand nach ihnen ausstreckte, verschwanden die Geister mitsamt der Dunkelheit, und er erblickte wieder die besorgten Gesichter der Mithäftlinge in seiner Zelle.
Das Frühstück wurde durch die Öffnung in der Eisentür hereingeschoben. Die anderen tuschelten.
Der Mann mittleren Alters packte Gao Yang an den Schultern und sagte: »Kumpel, iß etwas.«
Gao Yang hatte nicht einmal die Kraft, den Kopf zu schütteln.
Später hörte er, daß die Zellentür aufgeschlossen wurde, und frische Luft strömte herein. Sein Kopf wurde sofort viel klarer. Die Decken, die auf ihn drückten, wurden eine nach der anderen abgenommen, und es fühlte sich an, als würde ihm die Haut Schicht für Schicht vom Körper geschält.
»Was fehlt dir?« fragte eine sanfte Frauenstimme.
Diese Frage, ganz liebevoll und sanft gestellt, erinnerte ihn an das gütige Gesicht, das seine Mutter früher gehabt hatte. Er riß die Augen auf und erblickte durch einen Schleier hindurch ein weißes, großes Gesicht über einem langen, weißen Kittel. Neben dem Jodgeruch, der von ihrem Arbeitskittel ausging, nahm er den Duft von parfümierter Seife wahr, wie er nur von einer vornehmen Frau ausgehen konnte.
Es war tatsächlich eine wohlgenährte, vornehme Frau, die mit ihrer kühlen Hand sein Handgelenk umfaßte. Die kühle Hand wanderte auf seine Stirn. Ihr Jodgeruch war ihm so angenehm, daß er ihn gierig einatmete. Das Druckgefühl in seiner Brust ließ sofort nach. Er empfand den Jodgeruch und vor allem den Duft der vornehmen Frau als ungeheuren Trost. Er kam sich vor wie im siebten Himmel, ein banges, schönes Glücksgefühl. Seine Nase juckte, als ob er weinen müßte.
»Klemm das fest.« Die Frau steckte ihm einen silberglänzenden Glasstab in die Achselhöhle und wiederholte: »Klemm das fest.«
Hinter der vornehmen, großen Frau stand ein dunkelhäutiger magerer Mann in Polizeiuniform, der sich wie ein menschenscheues Kind hinter ihrem Rücken zu verstecken schien. Auf seinem Gesicht lag ein unentschlossener, sorgenvoller Ausdruck.
»Du mußt dir etwas anziehen«, sagte die Frau.
Gao Yang versuchte ihr alles zu erklären, brachte aber kein Wort hervor.
»Sie haben ihn so eingeliefert«, sagte der Mann mittleren Alters, »mit nacktem Oberkörper und nackten Beinen.«
»Direktor Song«, die Frau wandte sich dem mageren Mann hinter ihr zu, »vielleicht sollten wir seine Angehörigen benachrichtigen, daß sie ihm ein paar Kleidungsstücke schicken.« Der Direktor nickte. Dann verschwand sein Körper wieder hinter dem Rücken der Frau.
»Sagt mal«, fragte der Direktor die anderen Zelleninsassen, »wie seid ihr hier untergebracht?«
»Ganz ausgezeichnet«, sagte der junge Häftling. »Es ist kühl und angenehm wie im Paradies. Nur von den verdammten Läusen gibt es zu viele.«
»Höre ich Läuse?«
»Nein, wir haben keine sprechenden Läuse.«
»Direktor, könnte man nicht in Ausübung des revolutionären Humanismus etwas gegen die Läuse unternehmen?«
»Der Vorschlag ist vernünftig«, sagte der Direktor. »Die Sanitätsstation könnte ein Entlausungsmittel bereitstellen.«
»Wir sind nur zu dritt. Bei so vielen Zellen fehlt uns einfach die Zeit, uns auch noch um die Entlausung zu kümmern.« Die Ärztin zog das Thermometer aus Gao Yangs Achselhöhle heraus, warf einen kurzen Blick darauf und holte hörbar Luft.
Sie öffnete eine Ledertasche und entnahm ihr ein Instrument, das sie sich um den Hals hängte, nein, in die Ohren steckte. Sie nahm eine glänzende Metallkapsel in die Hand, die an einem aprikosengelben Gummischlauch hing. Der Schlauch zitterte. Sie beugte sich über Gao Yang, ihr großes,
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