Die Knoblauchrevolte
aller Kraft am Fenstergitter festhalten, um aufrecht vor seiner Mutter stehen zu können.
Mutter öffnete ihre schlammverkrusteten Augen und starrte ihn an. Beglückt sagte er: »Mutter, wo bist du die ganze Zeit gewesen? Ich habe immer geglaubt, daß du tot bist.«
Mutter schüttelte leicht den Kopf.
»Mutter, du weißt noch gar nicht, vor acht Jahren sind die Grundbesitzer, reichen Bauern, Konterrevolutionäre, Schlechten Elemente und Rechtsabweichler alle rehabilitiert worden. Das Land ist an die Haushalte verpachtet. Ich habe eine Frau geheiratet. Sie hat ein Problem mit ihrem Arm, aber sie hat ein gutes Herz. Sie hat dir eine Enkelin geboren und einen Enkel. Unsere Familie wird nicht aussterben. Wir besitzen jetzt Getreidevorräte, und wenn die Knoblauchernte dieses Jahr nicht verfault wäre, hätten wir auch etwas Bargeld übrigbehalten.«
Mutters Gesicht veränderte sich plötzlich. Aus ihren schlammgefüllten Augenhöhlen kamen zwei langschwänzige Fliegenlarven gekrochen. Erschrocken streckte Gao Yang die Hand aus, um die Larven zu zerquetschen. Doch als er die Haut seiner Mutter berührte, floß Eiseskälte von seinen Fingerspitzen über seinen Arm bis in sein Herz. Ein Schwall gelbes Wasser kam aus dem Körper seiner Mutter heraus, Fleisch und Sehnen lösten sich ab und wurden Stück für Stück vom Wind davongetragen. Zurück blieb nur ein Skelett. Ein Schrei entrang sich seiner Kehle.
Aus weiter Ferne hörte er rufen: »Kumpel, Kumpel, wach auf! Hast du einen Alptraum?«
Drei grünschimmernde Augenpaare fixierten ihn. Eine grünbehaarte Klaue griff langsam nach ihm. Er spürte schreckliche Angst. Kaum hatte die eiskalte Klaue seine Stirn berührt, da zog sie sich blitzschnell zurück, als hätte sie in kochendes Wasser gefaßt. Der kurze Druck der grünen Hand auf seine Stirn hatte ihm angst gemacht, aber zugleich auch Trost geschenkt.
»Kumpel, du bist krank«, rief der Mann mittleren Alters laut. »Dein Kopf ist so heiß wie ein Ofen. Man verbrennt sich die Hand.«
Der Mann mittleren Alters breitete eine Decke über ihn und sagte: »Kumpel, ich schätze, du hast eine Erkältung. Wir packen dich in Decken. Vom Schwitzen wird dir besser werden.«
Er fühlte sich hitzig. Seine Glieder zitterten unkontrollierbar. Weshalb zittert ein Mensch? Er mußte der Frage nachgehen: Woher kam dieses Zittern? Die drei Mitgefangenen zogen die Decken von ihren Pritschen ab und häuften sie auf seinen Körper. Gao Yang zitterte immer noch, und die vier Decken zitterten mit ihm. Eine schob sich über seinen Kopf, ihm wurde schwarz vor Augen. Erdrückt vom Gestank der Decke, schnappte er nach Luft. Der Schweiß floß in Strömen an ihm hinab, und in seinem Schweiß wimmelten die Läuse. Er spürte, daß er sterben würde, wenn nicht an seiner Krankheit, dann am Gewicht der Decken, die ihn wie verfaulte Ochsenhäute erdrückten und erstickten. Mit letzter Kraft stieß er die Decke über seinem Kopf weg und fühlte sich, als tauchte sein Kopf aus einem Sumpf auf. Er atmete röchelnd und rief: »Leute, helft mir.«
Er klammerte sich, um nicht in Ohnmacht zu fallen, an den letzten Rest seines Bewußtseins, wie ein in bodenlosem Schlamm Versinkender die Hand nach einem rettenden Weidenzweig ausstreckt. Vor seinen Augen wechselten Licht und Schatten. Wenn es dunkel wurde, kamen die Dämonen angetanzt. Seine toten Eltern und die hellroten kleinen Kinder sprangen und hüpften kichernd um ihn herum. Sie kitzelten ihn unter den Armen, zupften an seinen Ohrläppchen und bissen ihn in den Hintern.
Einen Weidenknüppel schwingend, lief Vater auf einem mit Glasscherben übersäten Weg hin und her. Er fiel oft hin. Manchmal sah es so aus, als ob er sich absichtlich fallen ließe, dann wieder schien er von unsichtbaren Riesen gestoßen zu werden. Jedesmal wenn er hinfiel, gruben sich ein paar Glassplitter mehr in Vaters Gesicht und ließen es funkeln und glitzern.
Als Gao Yang die Hand ausstreckte, um die Geister festzuhalten, verschwand das Dunkel im Nu. Nur das Kichern der Dämonen kreiste noch unter der Zellendecke. Der Himmel wurde hell, durch das vergitterte Fenster fiel ein Streifen Licht. In der Zelle war es noch dämmrig, aber man konnte die Formen der Gegenstände schon deutlich erkennen. Der Mann mittleren Alters schlug mit den Fäusten wütend gegen die Zellentür, der alte und der junge Häftling stießen mit erhobenem Kopf ein langgezogenes Wolfsgeheul aus.
Getrappel im Flur kündigte die Wache an. Im Türfenster
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