Die Knoblauchrevolte
auf Gao Yangs Pritsche ab. Leise fluchend zog er sich auf seine Pritsche zurück und legte sich lang.
Der Duft von Nudeln mit Eiern weckte Gao Yangs Appetit. Mit zitternder Hand nahm er die Eßstäbchen auf und rührte die Suppe um. Die Nudeln waren sehr glatt und so weiß wie Glasnudeln. Er hatte noch nie so feine weiße Nudeln gesehen. Er hob die Schüssel an den Mund und schlürfte einen Schluck heiße Suppe. Magen und Darm begannen vor Glück zu zittern. Seine Augen füllten sich mit Tränen. Er schaute zum Gesicht des Soldaten im Türfenster hinüber und murmelte: »Vielen Dank, Beamter, für die Wohltat.«
Gao Yang, sagte er zu sich, während er die Nudeln aß, Gao Yang, dir ist das Glück über den Weg gelaufen. Eine vornehme Frau, wie du sie früher nur von weitem sehen konntest, hat deinen Kopf gestreichelt. Köstliche Nudeln, wie sie dir noch nie vor Augen gekommen sind, befinden sich in deinem Bauch. Solange es einem schlechtgeht, ist man nie zufrieden, Gao Yang, aber du kannst jetzt zufrieden sein.
Er vertilgte die große Portion bis auf den letzten Rest. Nicht ein Schluck Suppe blieb übrig. Der alte und der junge Mitgefangene starrten auf die leere Schüssel in seinen Händen. Das machte ihn etwas verlegen. Er hatte immer noch Hunger.
»Ich habe den Eindruck«, meinte die Wache an der Tür, »du könntest noch eine Schüssel verputzen, wenn du nicht krank wärst.«
»Beamter«, rief der junge Häftling, »ich bin auch krank. Ich habe Bauchschmerzen, mein Gott, schreckliche Bauchschmerzen …«
3
Die Stunde des Hofgangs war gekommen. Ein schriller Pfeifton erklang. Zwei Aufseher öffneten mit ihren Schlüsselbunden eine Zelle nach der anderen. Der Mann mittleren Alters und der alte Häftling verließen die Zelle. Der junge Gefangene machte die kleine Klappe unter dem Fenster auf und holte den Plastikeimer heraus, der randvoll mit Pisse und Scheiße gefüllt war. Dann fiel ihm plötzlich ein, wie er sich vor der Arbeit drücken konnte, die ihm der Mann mittleren Alters zugeteilt hatte, und er sagte zu Gao Yang: »He, Neuling, du hast eine große Schüssel mit Nudeln gegessen. Dann kannst du auch den Eimer ausleeren.« Mit einem Satz entfloh der Junge in den Flur.
Gao Yang, der gerade Nudeln gegessen und von einer vornehmen Frau eine Spritze bekommen hatte, schämte sich, weil er viel besser behandelt worden war als seine Mithäftlinge. Er setzte sich mühsam auf. Als seine nackten Füße den kalten, nassen Betonboden berührten, wurde ihm schwindlig. Trotzdem stand er auf. Der verletzte Fuß war taub und steif, beim Auftreten hatte er das Gefühl, auf Watte zu gehen. Er nahm den Eimer auf. Er war nicht schwer, stank aber entsetzlich. Gao Yang versuchte, ihn möglichst weit von sich weg zu halten, konnte aber nicht verhindern, daß der Eimer gegen seinen Schenkel stieß und die Flüssigkeit auf seine nackten Beine schwappte.
Das helle Sonnenlicht im Flur blendete ihn so, daß seine Augen tränten. Der Schmerz in den Augen ließ schnell nach, aber seine Arme und Beine zitterten unaufhörlich. Er setzte den Eimer ab und hielt sich an einem Pfeiler fest, um Luft zu schnappen. Sofort schrie ihn ein Soldat mit Gewehr aus dem Wachzimmer am Ende des Korridors an: »Nummer neun, der Eimer darf nicht hingestellt werden!«
Hastig hob er den Eimer hoch und folgte den Häftlingen aus den anderen Zellen, die vor ihm mit Eimern den Gang hinuntergingen. Am Ende des Korridors wandten sie sich Richtung Südwesten. Dort stand eine aus Eisenblech und morschen Planken zusammengezimmerte kleine Hütte mit der Aufschrift »Männer«. Mehr als ein Dutzend Häftlinge mit gefüllten Eimern bildete eine Warteschlange vor dem Eingang. Kam einer heraus, ging der nächste hinein.
Als Gao Yang an der Reihe war, versanken seine nackten Füße bis zum Knöchel in Fäkalienschlamm. Ihm wurde übel. In der Mitte des Aborts befand sich eine große schwarze Grube, in die Gao Yang, da ihm schwindlig war, beinahe hineingefallen wäre. Die Häftlinge, die ihre Eimer entleert hatten, standen hinter der Toilette an einem verrosteten Wasserhahn Schlange, um die Eimer zu spülen. Der Wasserstrahl kam nur dünn heraus, wie bei einem pinkelnden Kind. Mit einer schon fast haarlosen Bürste scheuerten die Häftlinge ihre Eimer, als ginge es darum, die eigenen Eingeweide zu säubern. Gao Yang war speiübel. Er sah förmlich vor sich, wie sich die feinen Nudeln in seinem Bauch wanden und dabei die goldgelb gebratenen Eier mitrissen. Er biß die
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