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Die Knoblauchrevolte

Die Knoblauchrevolte

Titel: Die Knoblauchrevolte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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Schmerzen. Unter dem Eisenträger an der Decke hing eine Petroleumlampe, in der Dieselöl verbrannt wurde, das stark rauchte und den Lampenzylinder so geschwärzt hatte, daß er nur ein schwaches Licht abgab und einen Schatten, so groß wie ein Mühlstein, auf den Ziegelboden warf. Der Anblick der beiden Milizsoldaten, die in ihren Kleidern schliefen, das Gewehr fest im Arm, löste in ihm ein leises Schuldgefühl aus, denn er war es, der sie in diese unbequeme Lage gebracht hatte. Ein-, zweimal dachte er daran, ihnen ein Gewehr zu entreißen, sie damit auf Distanz zu halten, mit dem Gewehrkolben das Fenster einzuschlagen und rasch in den Hof zu springen. Aber das war nur ein flüchtiger Gedanke, der rasch wieder der Überzeugung wich, daß alle Qualen, die ihm aufgezwungen wurden, im Grunde der Preis dafür waren, daß er seine Mutter nach ihrem Tode nicht verbrennen wollte. Er nahm sich vor, weiter die Zähne zusammenzubeißen. Nach allem, was er schon überstanden hatte, lohnte es sich kaum noch zu fliehen.
    Die Milizsoldaten hatten tief und fest geschlafen, aber Gao Yang hatte kein Auge zugetan. Es war genau wie heute nacht: Seine Mitgefangenen lagen in tiefem Schlaf, aber Gao Yang fand keine Ruhe. Durch das vergitterte Fenster konnte er am Himmel die Sterne funkeln sehen. Damals hatte es heftig geregnet. Das Trommeln der Tropfen auf den Sterkulienblättern im Hof hatte einen anderen Klang als das Prasseln des Regens auf den Dachziegeln, aber beide Geräusche vermischten sich, und zu ihnen gesellte sich noch ein anderer Ton, ein aus der Ferne kommendes kraftvolles Rauschen. Es bedeutete, daß der Glatte Bach im Süden und der Sand-Fluß im Norden des Dorfes Hochwasser führten. Sofort machte er sich Sorgen um das Getreide auf den Feldern. Wenn die Deiche nicht standhielten, würden die Felder überschwemmt werden. Das langhalmige Getreide konnte das ein paar Tage überstehen, aber die niedrigwachsenden Pflanzen wären rettungslos verloren.
    Er zog sich in eine Ecke zurück, um seinen Rücken gegen die feuchte Wand zu lehnen. Der Schatten eines Menschen huschte am Fenster vorbei, und ein kleines, in Papier gewickeltes Päckchen fiel ihm vor die Füße. Er hob das Päckchen auf und öffnete es. Ein angenehmer Duft stieg ihm in die Nase. Es war ein mit Porree gefüllter Pfannkuchen. Gao Yang wurde warm ums Herz. Er war so gerührt, daß er sich zusammennehmen mußte, um nicht laut zu weinen. Er verzehrte den Pfannkuchen mit kleinen Bissen, kaute vorsichtig und schluckte behutsam, um die Milizsoldaten nicht zu wecken. Zum erstenmal in seinem Leben wurde ihm klar, was für laute Geräusche Lippen und Kehle beim Essen machten. Zum Glück wachten die Milizsoldaten nicht auf.
    In jener Morgendämmerung war ihm genau das gleiche passiert wie am gestrigen Abend im Gefängnis. Nach dem Verzehr des Porreepfannkuchens, den ihm ein mitleidiger Unbekannter zugeworfen hatte, hatte Gao Yang wieder das Gefühl, daß es sich lohnte weiterzuleben. Er schlief ungefähr zwei Stunden. Dann wurde er von dem Druck in seiner Blase geweckt. Die beiden Milizsoldaten schliefen immer noch fest. Er hatte weder den Mut noch den Wunsch, sie aufzuwecken. Deshalb suchte er unauffällig und geräuschlos nach einem Mauseloch, in das er seine Notdurft verrichten konnte. Im Brigadegebäude war der Boden in allen Räumen mit viereckigen Klinkern belegt. Von Mauselöchern keine Spur. Nicht einmal ein etwas breiterer Riß war zu finden. Da fiel Gao Yangs Blick auf eine leere Weinflasche. In die konnte er hineinpinkeln. Aber das Geräusch, das er dabei machte, klang so laut, als würfe man Steine in eine Schlucht. Er bemühte sich, das Fließen zu kontrollieren, um die Milizsoldaten nicht zu wecken. Die Flasche war noch lange nicht voll, da quoll oben schon Schaum heraus. Gao Yang hielt es zurück und wartete, bis der Schaum zusammenfiel, dann machte er weiter. Nachdem er den Vorgang dreimal wiederholt hatte, war die Flasche voll. Er packte sie am Hals und stellte sie in eine Zimmerecke. Im hellen Morgenlicht leuchtete das Etikett der Flasche so auffallend, daß die Milizsoldaten es unmöglich übersehen konnten. Er stellte die Flasche in eine andere Ecke. Genau das gleiche. Er stellte sie aufs Fensterbrett. Dort fiel sie noch mehr auf.
    In diesem Moment erwachten die Milizsoldaten. Einer fragte: »Was machst du da?«
    Gao Yang errötete vor Verlegenheit.
    »Wer hat dir Wein gebracht?«
    »Das ist kein Wein, das ist mein …«
    Die Milizsoldaten lachten.

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