Die Knoblauchrevolte
Zähne zusammen und zwang den Klumpen, der ihm schon bis in die Kehle gestiegen war, wieder hinunter. Übergib dich nicht, übergib dich auf gar keinen Fall. Es wäre zu schade um die kostbaren Nudeln.
Bevor er seinen Eimer ausspülte, hielt er den verletzten Fuß unter den Wasserstrahl. An seinem Fuß klebte eine Menge Dreck, den er nicht anzuschauen wagte. Der Häftling hinter ihm stieß ihm seinen Eimer ins Gesäß und schimpfte: »Was soll das Getue? Das ist hier keine Badeanstalt.«
Gao Yang drehte sich um und stellte fest, daß der Mann, der ihn angestoßen hatte, ein bartloser Kerl in mittleren Jahren war. Der Mensch hatte große gelbe Augäpfel und ein Gesicht voller Fältchen, das aussah wie eine in Wasser eingeweichte und wieder getrocknete Sojabohne. Gao Yang fürchtete sich ein wenig vor ihm. Mitleidheischend sagte er: »Großer Bruder, ich bin zum erstenmal hier. Ich kenne die Vorschriften nicht. Mein Fuß ist verletzt.«
»Mach schneller«, sagte der Häftling mit den gelben Augen, »Scheiße, die Pause ist gleich zu Ende.«
Gao Yang wusch flüchtig seinen Fuß, und als der Wasserstrahl die verletzte Stelle traf, bemerkte er, daß die Haut dort grün und weiß war. Dann spülte er rasch den Eimer.
Als er den Eimer an seinen Platz zurückstellte, war er völlig erschöpft. Damit hatte er nicht gerechnet. Gestern vormittag noch ein starker Mann und heute ein Kümmerling, der schon bei der kleinsten Arbeit außer Atem geriet. Ein unregelmäßiges Geräusch in seiner Brust ließ ihn plötzlich an den Tod denken. Ich darf nicht sterben. Es war ihm wichtig, die Sonne zu sehen. Er trat auf den Flur und konnte sich ein klares Bild von der Anlage des Gefängnisses machen. Der Korridor, in dem er stand, war lang und schmal. An jedem Ende befand sich eine vergitterte Wachstube, die mit einem Posten mit Gewehr und Patronengurt besetzt war.
Die Südseite des Flurs bildete eine hohe graue Mauer, in der zwei kleine Türen offenstanden.
Der Flur war leer. Wohin die Häftlinge alle gegangen waren, konnte Gao Yang nicht erkennen.
»Nummer neun«, rief der Posten am Westende, »geh durch die kleine Tür.« Gehorsam befolgte er den Befehl. Draußen war es noch schöner. Er betrat einen großen, balkonartigen Eisenkäfig. Der Käfig war genauso lang wie der Korridor, seine Breite betrug zehn Meter und die Höhe etwa vier Meter. Der Fußboden war aus Beton. Das Gittermaterial des Käfigs bestand aus sichelgriffdicken Eisenpfosten, zwischen die fingerdicke Stahlstangen gesetzt waren. Die Eisenpfosten hatten Rost angesetzt, aber die Stahlstangen waren nicht verwittert und glänzten grünlichblau. Jenseits des Käfigs lag ein großes, flaches Feld, auf dem Gemüse wuchs. Kartoffeln waren zu sehen, Gurken und Tomaten. Einige Beamtinnen waren damit beschäftigt, Gurken zu pflücken. Hinter ihnen erhob sich wieder eine hohe graue Mauer, die von einem Stacheldrahtzaun gekrönt wurde. Gao Yang erinnerte sich, als Kind gehört zu haben, auf der Gefängnismauer gäbe es elektrisch geladene Drähte, über die nicht einmal ein Vogel hinwegfliegen könnte, geschweige denn ein Mensch.
Die meisten Gefangenen umklammerten mit ihren Händen die Stahlstangen des Käfigs und blickten nach draußen. Die Abstände zwischen den Käfigstangen waren nicht größer als eine Suppenschale. Kein Mensch, und sei er noch so klein, konnte seinen Kopf hindurchstecken. Ein paar Gefangene saßen am Fuß der nördlichen Mauer und sonnten sich. Andere liefen hektisch am äußeren Rand des Käfigs hin und her, der in zwei Hälften geteilt war. Die westliche Hälfte war für die Männer. Die östliche Hälfte gehörte den weiblichen Häftlingen.
Auf den ersten Blick erkannte Gao Yang Tante Vier, die sich an den Eisenstäben festhielt. Obwohl er sie nur einen Tag nicht gesehen hatte, wirkte sie völlig verändert. Gao Yang sah nur die eine Seite ihres Gesichts, und er konnte sich nicht entschließen, sie zu grüßen.
Die Aufseherinnen trugen einen Bambuskorb ins Tomatenfeld. Die Gefangenen, die sich an die Eisenstangen klammerten, folgten ihnen mit Blicken, gaben aber keinen Ton von sich.
Die Aufseherinnen scherzten laut. Am lautesten lachte eine Frau von kleiner Gestalt, die höchstens zwanzig Jahre alt sein konnte und das ganze Gesicht voller Sommersprossen hatte.
Der junge Häftling aus Gao Yangs Zelle rief frech: »Beamtinnen, Beamtinnen, tut mir einen Gefallen und schenkt mir eine Tomate.«
Die Aufseherinnen schwiegen und starrten zum Käfig
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