Die Knochenfrau
Gedanken schon bei der Frage, ob es sein alter Golf bis zurück nach Freiburg schaffen würde. Er wollte einfach nur weg von hier.
Bevor Lukas den Erdstall verließ und den Schrank zurück vor die kleine Tür in der Wand schob, machte er mit seiner Digitalkamera mehrere Fotos des toten Körpers. Er kontrollierte die Bilder auf dem Monitor und irgendwie sah das Ding drauf unecht aus, wie eine Wachsfigur, wie eine billige Fälschung. Lag vielleicht am Blitzlicht.
Lukas stieg die schmale Treppe nach oben, den blutverschmierten Spaten hatte er im Erdstall zurückgelassen. Als er aus der Kellerluke kletterte, da hörte er den Fernseher. Auf dem Sofa saß die Frau mit dem zerstörten Gesicht und hielt ihre Tochter im Arm. Yvonne war bei Bewusstsein, sagte aber nichts. Sie schaute ihn nur gleichgültig an und Lukas ging durch den Flur nach draußen. Als er gerade den kleinen Metallhaken eingehängt hatte, da hörte Lukas eine Sirene. Wahrscheinlich der Krankenwagen, aber das wusste er nie so genau, lieber keine Begegnung mit der Polizei riskieren. Lukas ging um das alte Fachwerkhaus herum und suchte den Weg, den er vorhin gegangen war und der ihn zurück zum Haus der Schneiders führen würde.
Eine Stunde später hatte Lukas seine wenigen Sachen gepackt und war unterwegs nach Freiburg. Der Golf lief gut. Lukas hielt an einer Tankstelle und ging hinein.
„Mein Gott, wie sehen Sie denn aus? Brauchen Sie Hilfe? Soll ich einen Krankenwagen rufen?”
„Nein, nur keine Umstände. Ich fahr sowieso gleich ins Krankenhaus.”
Lukas bekam zwei Mars-Riegel und eine Flasche Bitter Lemon geschenkt – „Nehmen Sie nur, nehmen Sie nur! Soll ich nicht doch einen Krankenwagen rufen?“ – ging hinaus zu seinem Wagen und lehnte sich an die Motorhaube. Der Schmerz in seiner Ferse fühlte sich mittlerweile eher pochend als brennend an. Er musste wirklich gleich ins Krankenhaus, nicht dass sich die Scheiße entzündet hatte. Und er musste sich etwas für die Polizei überlegen, sicher würden die sich bei ihm melden. Lukas setzte sich in seinen Wagen, schloss die Tür und sah sich noch einmal die Bilder auf seiner Digitalkamera an. Es war gerade erst passiert … und doch war es schon so fern. Kurz überlegte er, die Bilder einfach zu löschen. Dann dachte er daran, die Bilder zu veröffentlichen und sich als Entdecker (und Mörder) einer neuen Spezies feiern zu lassen. Aber nur eine Minute später war er wieder kurz davor, die Bilder zu löschen. Er hatte wenig Lust, sich der Gruppe derer anzuschließen, die angeblich Beweise für die Existenz irgendwelcher nie gesehenen Wesen hatte. Das waren doch sowieso größtenteils nur Spinner und Wichtigtuer. Oder etwa nicht?
Lukas schaltete die Kamera aus und surrend fuhr das Objektiv ein. Er suchte nach seinen Zigaretten, fand sie auch, zündete sich nach kurzem Zögern aber doch keine an. Er hatte ein Bedürfnis nach Reinheit, Klarheit. Er wollte sich waschen und sich die Wunden versorgen lassen. Er wollte die ganze Scheiße, die er erlebt hatte, mit kaltem, klarem Wasser abspülen. Nur eine Sache noch, das musste sein. Lukas steckte die Zigaretten weg, kramte nach seinem Handy und wählte die Nummer des Pflegeheimes.
„Hallo, mein Name ist Lukas Kramer. Bei Ihnen ist seit kurzem eine Frau Schneider, Wilma Schneider. Bitte richten Sie ihr etwas von mir aus … ja genau, einfach etwas ausrichten. Sagen Sie ihr bitte: Das Problem ist erledigt … Ja, genau so, genau diesen Satz … Nein, nicht „gelöst“, sagen Sie bitte „erledigt“ … Bitte versprechen Sie mir, dass Sie ihr das genau so ausrichten, Lukas Kramer mein Name … Okay danke … Wiederhören!
Lukas stöhnte, schloss die Augen und schob sich das Telefon in die Hosentasche. Einige Sekunden drehte er die kleine Digitalkamera in der rechten Hand, dann steckte er auch sie weg. Die Bilder des grauen, mageren Leichnams löschte Lukas vorerst nicht. Vielleicht waren sie noch für irgendetwas gut. Er trank einen Schluck Bitter Lemon, startete den Motor, legte den ersten Gang ein und ließ die Kupplung kommen. Geschmeidig setzte sich der alte Wagen in Bewegung und Lukas fuhr mit einem eleganten Bogen vom Tankstellengelände. Er ließ das Radio aus, schob auch keine CD in den Player, hörte nur den Fahrtwind, das Abrollen der Reifen und das Motorgeräusch.
Zehn Minuten später, es war auf einer langen, schnurgeraden, neu und dunkel asphaltierten Strecke, da fielen Lukas die Augen zu und sein Wagen kam von der Fahrbahn ab. Er
Weitere Kostenlose Bücher