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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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seltsame Geschichte begann, war in Stuttgart oder Karlsruhe … wahrscheinlich Stuttgart. Es war ein sonniger aber kühler Tag im Mai. Lukas erinnerte sich, dass er und sein Bruder Jacken trugen. Viel los war nicht an diesem Tag, nicht allzu viele Besucher. Wie üblich hatte ihr Vater nach einem Parkplatz gesucht, auf dem er umsonst parken konnte. Für das Benzin, das er so verfuhr, hätte er auch gleich ins Parkhaus können.
    Gegen drei Uhr nachmittags waren sie dann endlich drin im Zoo. Die Kinder bekamen Eis am Stiel und der Vater machte einen Plan. Er betrachtete es als seine Pflicht und sein Vorrecht, die Route festzulegen. Man hatte schließlich bezahlt und es kam nicht in Frage, eines der Tiere, für die man bezahlt hatte, auszulassen. Deshalb der Plan, deshalb die Route. Einfach drauflos zu gehen und möglicherweise irgendetwas zu verpassen, das war ausgeschlossen.
    So machten sie also die Tiere durch und irgendwann kamen sie zu dem Gehege mit den Ameisenbären. Lukas hatte solche Tiere schon einmal in einem Buch gesehen, sein Bruder nicht. Der Kleine war fasziniert von diesen Dingern mit den langen Schnauzen und den buschigen Schwänzen. Mit offenem Mund stand Daniel vor dem Gehege, war fast nicht mehr von dort weg zu kriegen. Erst als der Vater laut wurde, ging es weiter.
    Auf der ganzen Nachhausefahrt sprach Daniel nur von den Ameisenbären und weder Lukas noch seine Eltern verstanden so recht, wieso ihn diese Tiere so faszinierten. Sie waren weder besonders groß, noch besonders niedlich, noch besonders gefährlich. Sie sahen einfach nur komisch aus. Warum nicht die Elefanten? Oder die Löwen? Oder die stinkenden Flusspferde?
    Zwei Tage später – es muss ein Dienstag gewesen sein, die Zoobesuche waren fast immer sonntags – lagen Lukas und sein Bruder in ihrem Etagenbett. Lukas hatte es immer als sein Recht betrachtet, oben zu liegen. Schließlich war er der Große.
    Es war kurz nach zehn und eigentlich – das heißt: Nach dem Willen der Eltern – sollten sie schlafen. Stattdessen unterhielt Lukas seinen Bruder mit Schattenspielen. Er leuchtete mit der Taschenlampe an die Wand gegenüber dem Bett und machte mit der rechten Hand irgendwelche Figuren. Dazu dachte er sich Geschichten aus, die diese Figuren erlebten. Meist irgendwelches albernes Zeug. Geschichten, die weder Anfang noch Ende hatten und in denen viel gestritten und geprügelt wurde.
    Nach etwa einer Stunde wurde die Sache langweilig, zum Schlafen aber waren die Brüder zu aufgedreht. Da fing Daniel wieder mit den Ameisenbären an. Er wollte wissen, wo diese Tiere lebten, wie viele es davon gab und ob sie wirklich Ameisen aßen. Lukas nervten diese Fragen, trotzdem antwortete er. Ja, sie aßen Ameisen … sonst würden sie ja nicht Ameisenbären heißen. Und sie lebten irgendwo in Amerika (das hatte er auf dem Schild an dem Gehege gelesen. Er tat aber so, als hätte er es schon vorher gewusst) und eben eingesperrt im Zoo. Und es gab ganz viele davon. Bestimmt tausend oder zehntausend.
    Daniel sagte nein, das stimme nicht. Und dieses Nein war durchtränkt von Befriedigung. Endlich wusste er einmal etwas besser als sein älterer Bruder. Nein, sie lebten eben nicht nur in Amerika und im Zoo. Sie lebten auch in Deutschland. Erst gestern habe er einen gesehen … hinter dem Haus, am Waldrand.
    Lukas widersprach. Das könne nicht sein. Aber Daniel blieb dabei, dass er einen Ameisenbären gesehen habe. Er sei allerdings viel größer gewesen als die im Zoo … und aufrecht gehend, auf den Hinterbeinen. Der Ameisenbär habe einfach am Waldrand gestanden und ihn angeschaut.
    Natürlich hielt Lukas dagegen. Hier in Deutschland gebe es keine Ameisenbären … außer natürlich im Zoo. Aber bestimmt nicht hinter dem Haus. Hier sei es nämlich viel zu kalt für Ameisenbären. Und sie würden gar nicht genug Nahrung finden. In Amerika gebe es nämlich viel mehr Ameisen … und viel größere.
    Da wurde Daniel wütend. Er fing sogar an, leise zu weinen. So leise, dass es sein Bruder nicht hören konnte. Wieso wollte ihm der Blödmann nicht glauben? Wo er den Ameisenbären doch eindeutig gesehen hatte … hinter dem Haus, beim Wald. Gleich hinter dem Zaun hatte er gestanden.
    Daniel beschloss, nicht mehr mit Lukas zu reden. Und das hielt er durch bis zum nächsten Mittagessen. Lukas war es ganz recht. Das trotzige Schweigen seines Bruders war keine Strafe für ihn, sowieso quatschte der Kleine zu viel.
    Am Nachmittag des nächsten Tages geschah etwas

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