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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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Und für manche war es ja auch schlimmer gekommen. Er hatte ja erlebt, was anderen passiert war, was andere für ein Leben hatten. Da gab es zum Beispiel Georg, einen Jungen aus Lukas' Klasse, der geistig leicht zurückgeblieben war … oder der zumindest diesen Eindruck machte. Georg wurde von seinen Eltern misshandelt. Alle paar Tage kam er mit blauen Flecken in die Schule, manchmal hinkend oder mit kahlen Stellen auf dem Kopf. Sie rissen ihm tatsächlich die Haare aus. Aber Georgs Leid interessierte einfach keinen … es war merkwürdig. Wahrscheinlich hätte Georg auch blutend zur Schule kommen können und es hätte keinen interessiert.
    Der Grund dafür lag – so dachte sich Lukas – darin, dass Georg einer der unsympathischsten Menschen war, die er je getroffen hatte. Er war laut, dumm, hässlich und irgendwie ekelhaft. Dauernd pulte er an sich herum, dauern hatte er irgendwelche Wunden oder irgendeinen Ausschlag. Lukas hatte ihm die Schläge immer gegönnt, er hatte immer eine Art Befriedigung gespürt, wenn es wieder passiert war und der Körper des Jungen davon Zeugnis ablegte. Wahrscheinlich ging es den Lehrern ähnlich. Vielleicht hofften sie sogar, seine Erzeuger würden diesen kleinen hässlichen Schreihals endlich totschlagen.
    Sicher hätte es Georg leichter gehabt, wenn er nur ein klein wenig liebenswert gewesen wäre, nur ein klein bisschen weniger ekelhaft. Im Nachhinein tat der Junge Lukas leid. Er konnte doch nichts dafür, dass er so abstoßend war. Es gab einfach solche Menschen.
    Was Georg wohl heute machte? Konnte dieser Mensch Frau und Kinder haben? Oder hatte er sich in ein großes, schwarzes Insekt verwandelt und sich irgendwo in die Erde gegraben? Zweites konnte sich Lukas ganz gut vorstellen, erstes kaum.
    Oder eben Peter. Oh Scheiße … Peter. Einer der wenigen Freunde, die Lukas während seiner Schulzeit in Rothenbach hatte. Peter, der immer diese nach Cola riechenden Kaugummis kaute und die größten Blasen damit machte. Peter, der immer ein Indianer sein wollte, der sich das Gesicht bemalte und sich einen Bogen baute, mit dem er diese Stäbe verschoss, die an den Silvesterraketen dran waren und die sie zum Beginn jeden Jahres gemeinsam sammelten. Peter, der allein durch die Wälder streifte und der … nun ja, den es dann eben erwischte. Lukas war sich fast sicher, dass sie es war, dass sie ihn sich geschnappt hatte. Aber warum ließ sie ihn am Leben? Warum kam er wieder?
    Lukas war gerade elf, als es passierte. Seine Eltern hatten es ihm erzählt, er selbst sah Peter nicht wieder. Sein Freund war abends einige Stunden unauffindbar, halb Rothenbach suchte nach ihm. Dann griff man ihn auf der Hauptstraße des Ortes auf. Er lief mitten auf der Straße, schaute ins Leere und antwortete nicht. Und als er auch den ganzen nächsten Tag nicht sprach, da brachten sie ihn ins Krankenhaus und auch dort sprach er nicht und starrte nur vor sich hin.
    Lukas bat seine Eltern damals, mit ihm hinzufahren. Er wollte Peter besuchen. Aber sie fuhren nicht mit ihm hin. Dachten sie, Wahnsinn sei ansteckend? Sie taten es einfach nicht.
    Einige Jahre später versuchte Lukas dann, herauszubekommen, wo Peter mittlerweile war. Er fragte Peters Eltern aber die schickten ihn wütend weg. Er rief auch in der psychiatrischen Klinik an, in die sie ihn damals gesteckt hatten. Aber dort durften (oder wollten?) sie ihm keine Auskunft geben. Nach diesen beiden Versuchen gab Lukas es auf. Insgeheim hatte er Angst vor dem, was er finden würde. Hatten sie ihn wieder hinbekommen? Hatte er wieder angefangen zu sprechen? Oder war Peter ein sabberndes, mit Medikamenten vollgestopftes Wrack, das in irgendeinem Heim an irgendeinem Tisch saß und vor sich hin starrte? Lukas wusste es nicht und vielleicht war das ganz gut so.
    Es gab wirklich Leute, die beschissener dran waren als er. Und nicht nur diese beiden. Auch sein Bruder gehörte dazu. Lukas dachte an den Zoobesuch, damit hatte ja alles angefangen. Er war damals gerade acht, sein Bruder sechs. Ihr Vater war abends immer müde und brauchte seine Ruhe. Der verdammte Job machte ihn fertig. Aber am Sonntag, da riss er sich zusammen, kam vom Sofa hoch, packte Frau und Kinder in den gelben Opel Ascona und machte mit seiner Familie den obligatorischen Ausflug … meistens in den Zoo. Tiere schauen und Eis essen. Meistens nach Stuttgart in die Wilhelma, nach Karlsruhe oder nach Freiburg in den Mundenhof. Meistens in den Mundenhof.
    Dieser eine Zoobesuch aber, mit dem diese

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