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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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Kinderfahrrad mit der kaputten Hupe stand, die Abstände zwischen den Kreuzen. Die Punkte lagen nicht mehr als 1,5 Kilometer auseinander, alle eher am südlichen Rand des Ortes. Auch Peter war ja wahrscheinlich nicht durchs ganze Dorf gerannt, bevor man ihn aufgegriffen hatte. Er war ja mitten auf der Straße gelaufen, die Autos mussten um ihn herum fahren. Lukas spielte mit dem Gedanken, seine Suche nach der dürren Frau auf das Gebiet rund um die markierten Punkte zu begrenzen. Aber das war riskant, er wusste schlicht und einfach nicht, wo dieses Vieh sich aufhielt. Er wusste nicht einmal, ob es wirklich so etwas wie einen Bau, ein Höhle oder irgendeinen Unterschlupf hatte. Verdammte Scheiße! Vielleicht gab es sogar mehrere von diesen Dingern.
    Lukas blies die Backen auf, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und ließ seine Halswirbel knacken. Er verbot sich, in diese Richtung weiterzudenken. Das brachte einfach nichts. Ein Hoffnungsschimmer lag darin, dass die dürre Frau ja über Jahre hinweg immer wieder auf die Schneiders reagiert hatte. In dem Brief klang es fast, als hätte dieses Wesen die Schneiders systematisch terrorisiert. Und dann, als das alte Ehepaar endlich weg war, da tauchte Lukas auf und setzte die Sache mit dem Blut fort. Und ja, das Wesen hatte auf ihn ebenfalls reagiert … sogar heftiger als auf die Schneiders. Schließlich hatte er nicht nur Geräusche gehört. Er hatte im Haus selbst etwas gesehen, das nur einer ihrer verdammten Tricks sein konnte. In dem Brief, den ihm Herr Schneider geschrieben hatte, stand nichts von irgendwelchen Erscheinungen im Haus.
    Lukas verfluchte sich dafür, dass er nach seiner Begegnung mit der fliegenden Spinne nicht sofort hinaus in den Garten gerannt war. Vielleicht war dieses Ding da draußen gewesen, irgendwo am Waldrand, vielleicht sogar im Garten … vielleicht direkt am Haus. Möglicherweise musste es ja nahe heran an einen Menschen, damit diese beschissenen Tricks wirkten.
    Lukas legte die Karte zusammen und schob sie zurück in den Rucksack. Er ging in die Küche und machte sich ein frühes Abendessen. Es war kurz nach fünf. Als er das Geschirr abwusch, da klingelte sein Handy. Hastig wischte sich Lukas die Hände an einem Geschirrtuch mit Bauernhof-Motiven ab, aber als er ran ging, da hatte der Anrufer schon aufgelegt. Die Nummer wurde nicht angezeigt.
    „SCHEISSE!”, rief Lukas. Was, wenn das gerade Yvonne gewesen war? Die Kleine meinte doch, sie würde sich melden. Und sie meinte auch, sie könne ihm vielleicht weiterhelfen.
    Lukas saß einige Minuten nur da und wartete darauf, dass es wieder klingelte. Aber das tat es nicht. Er steckte das Ding ein, zog seine Jacke an, schulterte den Rucksack und verließ das Haus. Er ging durch den Garten, stieg über den Zaun und nahm den Pfad, den vor Jahrzehnten die Tochter der Schneiders gegangen war. Er kam an dem Baumstumpf vorbei, auf den er die Schale mit seinem Blut gestellt hatteund zehn Minuten später betrat er die Lichtung mit dem grünsten Gras der Welt. Das Gras leuchtete wie vor drei Tagen und auch das Stück Eingeweide lag noch da. Nur dunkler, zerfressener, ausgetrocknet und ohne Maden. Das zumindest war also keine Halluzination gewesen.
    Als Lukas eine halbe Stunde später von der anderen Waldseite aus über den Drahtzaun kletterte, da sah er im Nachbargarten – dem Garten, der zu dem Haus gehörte, das nach wie vor sein Elternhaus war – den Mann mit dem Brötchengesicht. Er saß auf einer umgedrehten Getränkekiste und machte sich an den Messern eines ebenfalls umgedrehten Rasenmähers zu schaffen. Neben ihm in Gras lag ein schwarzblauer Pudel. Lukas rief „Hallo”, aber der Mann tat so, als hätte er nichts gehört. Also warf Lukas einen Stein, einen ganz kleinen Stein nur, der nicht einmal scharfe Kanten hatte. Er schlug auf eine Gehwegplatte und der Mann sprang von seiner Kiste auf. Beinahe wäre ihm die zu weite Jogginghose heruntergerutscht, er kriegte sie gerade noch zu fassen.
    „SIND SIE WAHNSINNIG?”
    „Nein, ich wollte Sie nur aufwecken. Ich habe „Hallo” gesagt.”
    „WENN SIE SO WAS NOCH EINMAL MACHEN, DANN HÖREN SIE VON MEINEM ANWALT! WAS WOLLEN SIE ÜBERHAUPT HIER?”
    Lukas zog den Rotz hoch und spuckte auf den Boden. Dann ging er ohne ein weiteres Wort ins Haus. Als er fünf Minuten später auf dem Klo saß, da kam ihm der Gedanke, dass er es gerade vielleicht etwas übertrieben hatte. Überhaupt stand es mit seiner Beliebtheit in Rothenbach nicht zum Besten.

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