Die Knochenfrau
Er bekam keine Antwort und wurde noch wütender. Und dann erwachte Lukas mit zusammengebissenen Zähnen und schlechter Laune.
Mit einem Ruck richtete sich Lukas auf, starrte ins dunkle Zimmer und hörte den Regen auf das kleine Dachfenster prasseln. Als er die Nachttischlampe eingeschaltet hatte, da entdeckte er einen dunklen Fleck auf seiner Bettdecke, in Höhe seiner Hüfte. Scheiße! Hab ich mich gerade eingepinkelt? Das gibt es doch nicht!
Aber da sah Lukas einen Tropfen fallen. Das alte Dachfenster war undicht, es regnete hinein. Lukas stand auf, drehte das Bett um neunzig Grad und schob es an die Wand. Jetzt ging zwar die Tür nicht mehr ganz auf, aber das war egal, zum Durchschlüpfen reichte der Spalt.
Als Lukas aus dem Badezimmer zurück war, da öffnete er den kleinen Lederkoffer, der beim Verschieben des Bettes zum Vorschein gekommen war. Darin waren allerlei persönliche Unterlagen der Schneiders: Alte Kontoauszüge, ein KFZ-Brief eines 64er Ford Taunus, der wahrscheinlich längst verschrottet war, ein Heftordner mit vergilbten, aus Zeitschriften ausgeschnittenen Kuchenrezepten und als unterste Schicht – Erst traute Lukas seinen Augen nicht, dann lachte er beinahe laut los – ein Packen alter Sexhefte, ordentlich mit Bohnenband zusammengeschnürt. Lukas grinste in sich hinein, löste die Schleife und breitete die Hefte auf dem Boden aus. Es waren größtenteils Playboys aus den 50ern und 60ern, aber auch ein paar Praline-Hefte und ein Schwarzweißfotoband zur „Ehehygiene”, in dem ein Sechziger-Jahre-Pärchen verschiedene Stellungen vorführte. Die Geschlechtsteile waren durch schwarze Balken verdeckt und auch die anderen Hefte waren nach heutigen Maßstäben prüde.
Trotzdem gefiel Lukas, was er sah. Gerade die alten Playboys hatten Stil. Lukas bemerkte, dass er einen Steifen bekam und dachte daran, sich einen runterzuholen. Aber letztlich ließ er es. Das hier war das Haus der Schneiders, hier war ein Mann gestorben und eine alte Frau fast verdurstet. Und irgendwo da draußen war ein Ding, das seit Jahrhunderten kleine Kinder tötete. Außerdem kam Lukas der Gedanke, dass all die drallen Frauen mit den spitzen Brüsten mittlerweile entweder tot oder alte Omas waren.
Er legte die Zeitschriften zurück in den Koffer, klappte den Deckel zu und ging wieder ins Bett. Die Schneiders waren ihm gerade noch ein wenig sympathischer geworden. Er hatte sich nie vorstellen können, dass das alte Ehepaar so etwas wie ein Sexualleben hatte … oder dass einer der beiden sexuelle Bedürfnisse verspürte.
Lukas schlief zwei Stunden, dann klingelte der Wecker. Draußen war es hell, der Regen hatte nachgelassen und auf dem Teppichboden war ein großer, dunkler Fleck. Ich hätte was unterstellen sollen , dachte Lukas. Von schreienden Affen und Frauen im weißen Kittel hatte er nicht mehr geträumt … zumindest erinnerte er sich nicht daran.
12. Ein Eimer Scheiße und ein schadenfrohes Lachen
Um halb acht stand Lukas unter der Dusche, zehn Minuten später rasierte er sich vor dem beschlagenen Badezimmerspiegel, auf dem er ein herdplattengroßes Guckloch frei gewischt hatte. Er hatte das Badetuch um die Hüften gewickelt und ärgerte sich darüber, dass er langsam aber sicher einen Bauch bekam.
Weitere zehn Minuten später saß Lukas angezogen und frisch rasiert beim Frühstück, hielt in der Linken seinen Toast mit Marmelade und wischte mit dem Zeigefinger der Rechten auf dem Display seines Telefons herum. Da war sie, die gesuchte Nummer. Sven Polmeyer. Lukas spülte den letzten Bissen seines Toasts hinunter und drückte auf den grünen Hörer neben der Telefonnummer.
„Scheiße, Lukas. Weißt du, wie früh es ist? Heute ist Sonntag!”
„Ich bitte vielmals um Verzeihung, wird nicht wieder vorkommen. Hör mal … ich hab doch am Mittwoch deinem Bruder die Probe von diesem Zeug geschickt, hat der sich schon gemeldet?”
„Nein, hat er nicht.” Sven gähnte übertrieben.
„Das müsste ja eigentlich schon bei ihm sein, oder?”
„Wahrscheinlich schon.”
„Hör mal Sven, es ist wirklich verdammt wichtig dass-”
„Okay okay”, unterbrach ihn Sven, „jetzt halt mir nicht wieder deinen „Es ist verdammt wichtig”-Vortrag. Ich geb' dir die Nummer von meinem Bruder, dann kannst du direkt bei ihm anrufen. Der ist wahrscheinlich auch schon wach, der Spießer.”
„Danke, ich such schnell was zum schreiben.”
Sven diktierte Lukas eine Mobilnummer, Lukas bedankte sich artig und rief
Weitere Kostenlose Bücher