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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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tierische, laute Brüllen: „VERRECK DOCH! VERRECK DOCH! ICH HÄTTE DICH DAMALS WEGMACHEN SOLLEN, DU DUMMES STÜCK SCHEISSE!” Es war nicht die Stimme Yvonnes.
    Lukas zog die Augenbrauen hoch und atmete mehrmals tief durch. Er war kurz davor auszusteigen und nachzusehen, was da los war. Wenn jemand so brüllte, dann war er nahe am Durchdrehen … dann konnte sonst was passieren. Es musste weh tun, so zu schreien.
    Lukas öffnete die Fahrertür. Einige Sekunden Stille, dann plötzlich ein schriller, langgezogener Schrei und ein Geräusch, als würde etwas (oder jemand?) gegen eine Wand oder auf den Boden geworfen.
    Lukas schwang sich aus dem Wagen und war mit sechs Schritten bei der alten Haustür. Er hämmerte mit den Fäusten dagegen und rief nach Yvonne. Nichts. Dann Geräusche wie von zerspringendem Geschirr und wieder ein langgezogener, viehischer Schrei. Als Lukas ein Geräusch hörte, dass nach dem Aufschlag von etwas Schwerem auf hartem Grund klang (ein menschlicher Körper? Yvonne?), da warf er sich mit der Schulter gegen die niedrige Holztür. Sie gab nach, dellte sich nach innen ein, öffnete sich aber nicht. Das alte Holz schien seltsamerweise biegsam zu sein. Lukas machte einen Schritt zurück und trat zu, direkt neben dem Schloss, mit aller Kraft, die er hatte. Beim dritten Tritt sprang die Tür auf, knallte gegen einen Zeitungsstapel, prallte zurück und kam Lukas entgegen. Er hielt sich mit beiden Händen die Tür vom Leib und betrat einen dunklen, fensterlosen Flur. Entlang der Wände türmte sich Unrat: Schmierige, staubige Glasflaschen, alte Zeitschriften und stockfleckige Pappkartons.
    Auf einmal war es völlig ruhig in dem Haus. Lukas wusste, dass man ihn gehört hatte. Er sah einen Schatten und blieb stehen. Jemand bewegte sich in einem der Zimmer, die vom Flur abgingen. Er hörte ein Geräusch, das wie ein Räuspern klang und dann trat eine schlanke Frau in einem eng anliegenden Bademantel in den Flur.
    „Was machen Sie in meinem Haus, junger Mann?”
    Lukas versuchte, das Gesicht der Frau zu erkennen. Aber im Dunkel des Flures war es nicht möglich.
    „Es tut mir leid … ich dachte-”, fing Lukas an, wurde aber unterbrochen.
    „Jetzt wo Sie schon einmal da sind, können Sie auch ein paar Minuten bleiben. Kommen Sie mit!”
    Die Frau drehte sich um und ging zurück in das Zimmer, aus dem sie gekommen war. Lukas bemerkte, dass sie schwankte. Sie schaffte es gerade so, nicht gegen den Türrahmen zu laufen.
    Als Lukas das rund dreißig Quadratmeter große Zimmer betrat, da stand sie mit dem Rücken zu ihm vor einer hölzernen Theke und schien sich etwas einzuschenken. Ihr Bademantel spannte über einem nicht zu großen und nicht zu kleinen Hintern und ihre Füße steckten in plüschigen, rosafarbenen Pantoffeln. Die Frau hatte dunkle, schulterlange Haare, sie stand leicht breitbeinig und musste sich mit einer Hand an der Theke festhalten.
    Lukas sah sich in dem Zimmer um. Der Raum war eine Art Wohnzimmer, es gab einen Fernseher und eine alte, grell geblümte Couchgarnitur. Im hinteren Teil des Raumes führte eine Treppe nach oben, dort saß Yvonne. Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht und starrte die Wand an. Ihre schwarzen Haare wirkten zerzaust. Lukas sah, dass der Boden des Raumes bedeckt war mit Scherben zerbrochenen Porzellans, den verstreuten Überresten eines Holzstuhls und mit beschädigtem Obst. Scheinbar hatte eine der beiden Frauen mit einer Obstschale geworfen.
    „Sehr nett von Ihnen, dass Sie meine Tochter nach Hause gefahren haben. Sie treibt sich herum, anstatt bei ihrer Mutter zu sein, die ihre Hilfe braucht.”
    Yvonne stand auf und ging wortlos die Treppe nach oben. Sie vermied es, in Richtung von Lukas oder ihrer Mutter zu sehen.
    „Ja geh nur … HAU NUR AB!”
    Lukas spürte deutlich seinen Herzschlag. Was war das hier für ein beschissenes Schauspiel? Und was war das überhaupt für ein Haus? Es stank nach Schimmel und alter Wäsche. Er bemerkte zwei halb zerfallene Hirschköpfe an der Wand neben ihm. Jemand hatte die Glasaugen der Präparate hellgrün lackiert und dabei auch das Fell drumherum erwischt. Einige Meter weiter hing ein schreiend buntes Gemälde. Lukas erkannte einen grinsenden Regenwurm, der sich um einen Menschen gewickelt hatte und dabei war, ihn zu zerquetschen. Das Gesicht des Mannes war realistisch gemalt, eine vom Todeskampf verzerrte Fratze mit hervorquellenden Augen. Der Rest des Bildes sah aus wie von einem Kind gemalt, der grinsende Regenwurm

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