Die Knochenfrau
eine Gartenhecke zu springen. Er schaffte es nicht, es blieb an der Hecke hängen und strampelte sich auf die andere Seite hinüber. Und dort landete er mit seinem mageren Arsch auf einen großen, steinernen Frosch, den die Besitzer des Gartens ausgerechnet an dieser Stelle zu Dekorationszwecken aufgestellt hatten.
„Aaaah … aaaaahhhh … Scheiße! Scheiße! Scheiße!”
Fast gleichzeitig streckten Lukas und Yvonne ihre Köpfe über die Hecke und sahen, wie der Junge mit rotem Kopf und Tränen in den Augen auf der Seite lag und sich den Hintern rieb. Der Frosch war unversehrt und grinste zufrieden.
„Was gebrochen?”, fragte Lukas den Jungen.
„Na hoffentlich”, sagte Yvonne.
Der Junge rappelte sich jammernd auf und watschelte in gebückter Haltung über den Rasen davon. „Bis dann”, rief ihm Yvonne hinterher. Und zu Lukas: „Nimmst du mich ein Stück mit?”
*
Yvonne hatte ihre obligatorische Zigarette bekommen und machte es sich auf dem Beifahrersitz bequem. Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und ihre Füße auf die Plastikverkleidung über dem Handschuhfach gelegt.
„Richtest du dich jetzt häuslich ein … in meinem Auto?”
„Nee, keine Sorge.”
„Du solltest die Füße da runter nehmen. Wenn der Airbag losgeht, dann haut es dir die Knie ins Gesicht.”
Yvonne stöhnte auf.
„Wieso sollte der Airbag losgehen? Hast du vor, gegen 'ne Mauer zu fahren?”
Lukas antwortete nicht.
„Hat die alte Karre überhaupt Airbags?”
Lukas antwortete immer noch nicht.
„Okay, ich nehm sie runter.”
Yvonne schlüpfte in ihre Schuhe, stellte die Lehne ihres Sitzes zurück und streckte sich aus.
„Immer wenn ich dich sehe, dann hast du entweder Ärger oder du machst Ärger. Was war das gerade eben mit dem Typen? War der nicht auch vor ein paar Tagen dabei, als sie dich umzingelt hatten?”
„Ja, war er. Aber der ist harmlos. Ich war früher mal mit dem befreundet … bis er dann meinte, der Kontakt zu mir schade seinem sozialen Ansehen. Ab und zu hab ich Spaß daran, ihn an seinen Verrat zu erinnern.”
„Heute Morgen war übrigens mein Auto zerkratzt … beziehungsweise beschriftet. Irgendjemand wollte mir sagen, dass ich mich verpissen soll. Weißt du da was drüber?”
„Nö.”
„War das vielleicht der Typ, der gerade mit dem Arsch auf dem Frosch gelandet ist?”
„Wohl kaum, für so etwas ist der viel zu ängstlich.”
„Und warum läuft der um diese Uhrzeit hier in der Gegend rum?”
„Der wohnt hier in der Gegend. Und wie gesagt, der würde sich das nicht trauen … zumindest nicht bei Tageslicht.”
Lukas überlegte. Yvonne hatte recht, der Typ war ein Hosenscheißer. Andererseits … seine Reaktion gerade, die war doch sehr verdächtig … vielleicht sollte er Yvonne nach dem Namen des Jungen fragen und dem Kerl mal einen ...
„Ich hab versucht, dich anzurufen”, unterbrach Yvonne Lukas' Gedanken. „Aber du bist nicht ran gegangen.”
„Dann hättest du es ja noch einmal versuchen können. Ich hab darauf gewartet, dass du anrufst. Du meintest doch, dass du mir vielleicht weiterhelfen kannst.”
„Wobei weiterhelfen?”
„Jetzt hör auf mit dem Scheiß! Als du mir das Messer gegeben hast, da wusstest du, dass ich dort auf diesem Pfad etwas gesehen habe … etwas, das nicht wirklich da war. Was weißt du darüber?”
„Nicht viel … es ist nur so, dass ich selbst auch schon Sachen gesehen habe. Bist du auf der Suche nach der dürren Frau?”
Lukas war es, als hätte ihm jemand Eiswasser in den Kragen gekippt. Er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, aber der Schreck übertrug sich über seinen rechten Fuß aufs Gaspedal. Der gleichmäßige Lauf des Wagens wurde durch einen kleinen, durch plötzliches Beschleunigen und ebenso plötzliche Gaswegnahme verursachten Hopser unterbrochen. Yvonne saß nur da, rauchte ihre Zigarette und grinste in sich hinein.
„Was weißt du über die dürre Frau?”
„Nur dass es sie gibt … und dass sie Leuten etwas vormachen kann, dass die dann Sachen sehen, die es nicht gibt.”
„Du meintest gerade, dass du auch schon was gesehen hast. Was war das?”
„Verschiedenes. Ich hab zum Beispiel mal auf einem Baumstumpf ein kleines Lebkuchenhaus gesehen, aus dem kleine braune Lebkuchenmenschen kamen und mir zugewinkt haben. War wirklich niedlich, ist allerdings schon ein paar Jahre her. Mir muss sie ja nichts vormachen. Ich will nichts von ihr und sie will nichts von mir. Ich lauf schon seit Jahren hier durch die
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