Die Knochenfrau
Wälder, sie hat sich wohl an mich gewöhnt.”
„Du weißt aber, dass dieses Vieh Kinder umbringt, oder?”
Yvonne versuchte einen Rauchring, es wurde aber nur eine Art verbogenes Hufeisen.
„Haben wir nicht sowieso Überbevölkerung?”
„Hör auf mit dem Scheiß. Wenn Leute in deinem Alter auf Zyniker machen, dann wirkt das albern.”
„Mir doch egal wie das wirkt.”
„Weißt du sonst noch irgendwas über die Sache?”
„Nein, nichts.”
„Irgendwie glaub ich dir nicht. Woher weißt du überhaupt, dass dieses Vieh „dürre Frau” genannt wird?”
„Das ist 'ne alte Sage hier in der Gegend. Mein Ur-Urgroßvater hat sich mit solchen Sachen beschäftigt, der hat im Ruhestand so 'ne Art Heimatkunde betrieben. Ist leider schon lange tot, hab ihn nicht mehr gekannt. Aber ich habe mir ein paar von den Heften durchgeschaut, die er vollgeschrieben hat.”
Lukas kam ein Verdacht.
„Ist der in den Siebzigern gestorben? Und war der Landwirt?”
„Genau, woher weißt du das?”
„Das Ehepaar, in dessen Haus ich jetzt wohne, hat mir einen Brief hinterlassen. Darin erwähnen sie deinen Ur-Urgroßvater … also wenn er das ist. Kannst du mir sagen, wo du diese Halluzinationen hattest, also zum Beispiel das mit dem Lebkuchenhaus?”
Yvonne antwortete nicht gleich. Sie schien zu überlegen.
„Das war oben, beim Sportplatz … also nördlicher Dorfrand, gleich am Wald.”
„Scheiße”, sagte Lukas. Er hatte darauf gehofft, dass dieses Vieh sich nur südlich von Rothenbach aufhielt. Alle Angriffe, von denen er wusste, waren im Süden passiert.
„Und bist du angegriffen worden von dieser dürren Frau? Oder kennst du jemanden, der angegriffen wurde?”
„Nein, bin ich nicht. Ich kenn auch niemanden. Wo fahren wir eigentlich hin? Ich dachte, du bringst mich nach Hause.”
Lukas sah in den Rückspiegel, bremste ab und wendete auf der Straße.
„Schon unterwegs. Weißt du sonst noch irgendwas?”
„Wird das gerade so 'ne Art Verhör? Du hast gerade so einen unentspannten Ton drauf.”
„Sorry … es ist wirklich wichtig.”
„Wie gesagt, ich weiß nichts. Ich hab auch keine Ahnung mehr, was mein Ur-Urgroßvater über die geschrieben hat. Warum willst du sie eigentlich finden, die dürre Frau?”
„Damit sie keine Kinder mehr umbringt … und damit ich aus diesem Kaff hier abhauen kann.”
„Dann willst du sie umbringen?”
Lukas antwortete nicht.
„Na dann viel Glück, dir und deinem Küchenmesser.”
Schweigend fuhren Lukas und Yvonne die letzten fünfhundert Meter zu dem alten, baufälligen Fachwerkhaus. Unterwegs bemerkte Lukas fünf Männer, die jeder für sich harmlos, so dicht zusammen aber bedrohlich aussahen. Die Gruppe lief den Bürgersteig entlang, fast marschierten sie. Lukas dachte an ein Lynchkommando, fuhr an den Männern vorbei und erreichte das Fachwerkhaus. Als Yvonne gerade aussteigen wollte, da fragte er:
„Du meintest, dass dein Ur-Urgroßvater Aufzeichnungen gemacht hat. Gibt es die noch irgendwo? Oder vielleicht irgendwelche Bücher, die er hatte? In dem Brief von diesem Ehepaar stand, dass er ihnen ein Buch gezeigt hat, in dem die dürre Frau erwähnt war.”
„Ich glaube nicht, dass es da noch was gibt.” Yvonnes Stimme verriet Misstrauen. Sie hatte bereits die Hand am Türgriff.
„Aber er hat doch hier gewohnt, also in dem Haus … oder? Vielleicht könnten wir mal zusammen-”
„Ich muss jetzt echt los”, unterbrach ihn Yvonne. Sie stieß die Tür auf und schwang sich aus dem Wagen. Noch nie hatte Lukas jemanden so schnell aussteigen sehen. Er dachte daran, ihr nachzugehen, ihr zu sagen, dass es verdammt nochmal wichtig war, dass sie ihn unterstützte. Andererseits … wenn er sie jetzt bedrängte, dann würde sie vielleicht überhaupt nicht mehr mit ihm sprechen. Lukas nahm die Hand vom Türgriff, lehnte sich weit nach links und zog die Beifahrertür zu. Yvonne war schon im Haus.
Als er gerade den Schlüssel umdrehen wollte, da hörte Lukas ein dumpfes Krachen … dann ein Geräusch wie Holz, dass auf harten Boden fällt. Es kam eindeutig aus dem Haus und Lukas ließ den Zündschlüssel los. Er schaute Richtung Haustür, hörte aber nichts mehr. Kurz überlegte er, einfach zu fahren. Aber dann kamen Schreie, zwei schrille, durch Mauern und Fenster kaum gedämpfte Frauenschreie. Und dann brüllte jemand: „HAU DOCH AB, HAU DOCH EINFACH AB”. Gleich darauf leisere Worte von einer anderen Person, die Lukas nicht verstand. Und wieder dieses
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