Die Knochenfrau
Schneider.”
„Frau Schneider geht’s gut. Ich war gerade bei ihr. Möchten Sie sie sprechen?”
„Ja, das wäre nett. Sie haben übrigens eine sehr angenehme Stimme.”
„Danke, das höre ich öfter.” Die Pflegerin lachte und auch ihr Lachen war nicht schlecht. Lukas stellte sich eine junge Frau mit braunen Haaren und Sommersprossen vor.
„Ich geh mal zu ihr und halte ihr den Hörer. Sie sitzt noch am Frühstückstisch.”
„Was gab's denn zum Frühstück?”, fragte Lukas. Die Pflegerin antwortete nicht, sie hatte das Telefon nicht mehr am Ohr. Lukas war es recht. Noch während er seine Frage ausgesprochen hatte, war sie ihm blöd vorgekommen … gerade angesichts der Tatsache, dass Frau Schneider künstlich ernährt wurde.
„Hallo Herr Kramer, noch da? Ich bin jetzt bei Frau Schneider. Ich halte ihr den Hörer.”
Als er das Atmen seiner ehemaligen Nachbarin hörte, begann Lukas mit seinem Bericht. Er erzählte ihr, dass er das mit dem Blut fortgeführt hatte und dass es gar nicht so einfach gewesen sei sich selbst Blut abzunehmen. Er erzählte Frau Schneider auch, dass die dürre Frau wusste, dass er da war, dass sie auf ihn reagiert hatte und dass das Blut am nächsten Morgen ein schwarzer Klumpen gewesen war. Seine Zweifel am Nutzen der Sache erwähnte er nicht. Er verschwieg auch den Tod des Jungen und seine Absicht, dieses Tier, das die Schneiders „Die dürre Frau” nannten, aufzustöbern und umzubringen. Was sollte sie sich Vorwürfe oder Sorgen machen? Was brachte das?
Als das einseitige Gespräch beendet war, da zog sich Lukas an, schulterte den Rucksack und verließ das Haus. Er hatte keinen Plan, was er heute tun wollte. Vielleicht würde sich ja irgendetwas ergeben. Von seinem Fußmarsch am vorigen Tag taten ihm die Waden weh. Also ab zum Auto.
Als Lukas gerade den Schlüssel aus seiner Jackentasche kramte, da bemerkte er es. Irgendjemand hatte ihm auf der Beifahrerseite die Worte „Verpiss dich Wichser!” in den Lack geritzt. Der Schriftzug begann hinter dem Tankdeckel, schlängelte sich unter den Türgriffen hindurch und endete kurz vor der Motorhaube. Die Buchstaben sahen aus, als seien sie hastig eingeritzt worden. Sie waren nicht besonders tief und nicht einmal ganz durchgezogen.
Lukas fuhr mit dem Finger das W entlang und musste lachen. Er war erleichtert. Erleichtert darüber, dass ihm die Arschlöcher nicht die Reifen abgestochen hatten, das hätte richtig Ärger bedeutet. Die Kratzer im Lack waren ihm egal. Die Karre hatte sowieso über 200.000 Kilometer und war kurz vor dem Motorschaden. Einen Moment lang überlegte er, ob er mit seinem Schlüssel „Verpisst ihr euch doch!” darunter schreiben sollte. Aber das war nun wirklich zu viel Aufwand. Er stieg ein, steckte sich eine Zigarette in den Mund und drehte den Zündschlüssel. Der Motor sprang an, der Maschine waren die Kratzer egal. Aber wo verdammt war das Feuerzeug?
*
Als Lukas vom Zähringerweg in Richtung Hauptstraße abbog, da sah er sie. Einfach unverkennbar, der gleiche ranzige Bundeswehrparka. Yvonne lief hinter irgendeinem Typen her und es sah aus, als verfolge sie ihn. Lukas machte langsamer und ließ den Motor so leise laufen, wie es eben ging. Einige Male drehte sich der dünne Junge um und sagte etwas zu Yvonne. Lukas fuhr näher heran und als sich der Typ wieder umdrehte, da erkannte er ihn. Das war einer von denen, die vor ein paar Tagen um Yvonne herumstanden. Dieser blasse, magere Junge, der nichts gemacht hatte, der nur mit dabei war. Wieder drehte er sich um und sagte etwas zu Yvonne … da machte das Mädchen einen Schritt auf ihn zu und stieß ihn mit beiden Händen hart gegen die Brust. Der dünne Junge taumelte zurück. Er war deutlich größer als Yvonne und trotz seiner Schmächtigkeit wohl auch stärker. Aber er schien Angst vor ihr zu haben, er hatte diesen irritiert-unterwürfigen „Ich hab doch überhaupt nichts getan, warum lässt du mich nicht in Ruhe?”-Gesichtsausdruck.
Lukas fuhr langsam an den beiden Jugendlichen vorbei, hielt einige Meter vor ihnen und stieg aus. Als der dünne Junge ihn sah, da zuckte er zusammen und riss die Augen auf, der Typ hatte ganz offensichtlich die Hosen voll. Lukas ging auf ihn zu und er wich zurück … aber hinter ihm war Yvonne. Und Yvonne lachte auch noch. Der Junge warf hektisch seinen Kopf hin und her, er wusste nicht wohin. Und dann – es sah aus wie eine Szene aus einem alten Slapstick-Film – versuchte der große Junge über
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