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Die Knochenfrau

Die Knochenfrau

Titel: Die Knochenfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Susami
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hatte große blaue Augen mit Wimpern drüber.
    „Was möchten Sie trinken?”, fragte die Frau in dem Bademantel.
    „Danke, nichts.”
    „Von wegen!” sie lachte hart auf und klimperte mit den Flaschen. Lukas heftete seinen Blick auf die Bewegungen ihrer schlanken, durchaus schönen Arme. Nicht dass sie plötzlich auf die Idee kam, eine Flasche nach ihm zu werfen. Nicht dass sie ihn plötzlich angriff.
    Als sich die Frau mit einem Glas in der Hand umdrehte, da hätte Lukas beinahe einen Schritt nach hinten gemacht. Der Anblick war verstörend. Ein schöner, fast jugendlicher Körper: Flacher Bauch und mittelgroße, straffe Brüste unter dem dünnen Stoff des rotweinfarbenen Satin-Bademantels. Und darüber ein völlig zerstörtes Gesicht. Verquollen, gerötet, gezeichnet von Hass, Schmerz und Verbitterung. Jede Linie in diesem Gesicht schien entgleist, nichts war an der richtigen Stelle. Die Unterlippe hing schief, die Stirn sah aus, als würde sie demnächst über die Augen rutschen. Und unter dieser Katastrophe der schöne, straffe Körper einer Dreißigjährigen.
    „Was schauen Sie mich so an?”, fragte die tragische Erscheinung. Ihre Stimme war durchtränkt von bitterem Sarkasmus. „Ich weiß, dass ich nicht mehr die Schönste bin.”
    Sie hielt Lukas ein Glas hin und nach kurzem Zögern nahm er es. Das Glas hatte Kalkflecken und fühlte sich klebrig an, darin schwappte eine klare Flüssigkeit. Als sie sich wieder zu der Theke umdrehte, da roch Lukas an dem Zeug. Es war Gin, der typische Wacholdergeruch. Die Frau drehte sich wieder um, stieß sich an der Theke ab und kam mit ihrem Glas Lukas entgegen.
    „Auf das gute Leben!”
    „Auf das Leben.” antwortete Lukas. Sie rammte ihr Glas so heftig gegen seines, dass es ihm fast aus der Hand fiel. Dann kippte sie das Zeug in einem Zug, Lukas nippte nur. Der Gin war vom billigsten, als Barmann war er Besseres gewohnt.
    „Und? Was willst du von meiner hübschen, kleinen Tochter? Ich darf doch du sagen, oder?”
    „Also ich äh ...”
    Wieder dieses harte, verbitterte Lachen.
    „Ist ja auch scheißegal, was du von ihr willst … ÜBERHAUPT IST ALLES SCHEISSEGAL, WAS MIT MEINER GELIEBTEN TOCHTER ZU TUN HAT, DIESER BESCHISSENEN KLEINEN FOTZE!”
    Sie schrie so laut, dass Lukas einen Schritt von ihr weg machte, die letzten vier Worte kotzte sie regelrecht heraus. Sicher hatte Yvonne es gehört … sie sollte es ja hören. Die Frau schwankte nach hinten und klammerte sich an die Theke. Sie brauchte einen Moment, um eine stabile Position zu finden. Sie drückte ihre Brüste heraus und sprach.
    „Ich bin Künstlerin … ich habe schon Ausstellungen gehabt. Was du hier siehst, das ist alles von mir.”
    Lukas schaute sich um. Das Bild mit dem menschenumschlingenden Regenwurm hatte er schon gesehen. Die anderen Bilder, die sich zwischen dem verdreckten Fußboden und der niedrigen Holzdecke drängten, waren nicht weniger grotesk. Eines zeigte Hochhäuser mit Beinen, die offensichtlich einen Dinosaurier verfolgten. Ein anderes – Lukas brauchte einige Sekunden, bis er es erkannte – zeigte eine große, weit gespreizte Vagina, die mit Nägeln und Schrauben gefüllt war. Vielleicht hätte Lukas in einem Museum etwas an den Bildern gefunden, in dieser Umgebung aber wirkten sie nur abstoßend … eine Manifestation des Wahnsinns, der dieses Haus offensichtlich beherrschte.
    „Malen sie immer noch?”, fragte Lukas. Etwas Besseres fiel ihm nicht ein.
    Die Frau lachte heiser auf und kam einen Schritt näher. Lukas war hellwach, er nahm seine Hände ein Stück nach oben. Nicht dass sie plötzlich auf ihn losging.
    „Wenn mich die Muse küsst, dann male ich etwas. Und wenn mich die Muse nicht küsst, dann küsst sie wahrscheinlich gerade jemand anderen”, säuselte die Frau. Lukas roch ihren bitteren Atem und hielt die Luft an. Plötzlich begann die Frau zu weinen. Sie stand aufrecht vor Lukas und weinte wie ein Kind, dem man etwas weggenommen hatte. Sie schlug die Hände vor die Augen und Lukas nutzte diesen Moment, um sein Glas loszuwerden. Er stellte es auf eine niedrige, dunkelbraune Kommode, direkt neben eine geköpfte und mit roter Farbe beschmierte Buddha-Figur. Und dann – so plötzlich wie es begonnen hatte – hörte das Weinen auf und die Frau mit dem zerstörten Gesicht sah Lukas direkt in die Augen.
    „Wenn du willst, dann lutsch ich dir den Schwanz. Ich bin gut darin.”
    „Ich bin verheiratet”, log Lukas. Die Frau kicherte. „Ich bin verheiratet …

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