Die Knochenfrau
weiter, ich ruf dich an.” Ihre Worte kamen schnell und leise.
Lukas wollte fragen, warum er weiterfahren sollte. Aber da sah er den Mann, der sechs Meter hinter Nadine in der Haustür stand und ihn anstarrte. Der Typ hatte schütteres Haar und war leicht untersetzt. Auf dem Arm hielt er ein kleines Mädchen in einem rosafarbenen Kleid. Die Kleine hatte einen schwarzen Stab in der Hand, oben dran war ein silberner Stern. Und neben dem Mann stand ein etwa sechsjähriger Junge mit einem roten Tischtennisschläger. Mofa-Michi samt Nachwuchs.
„Okay, bis dann”, sagte Lukas und fuhr los. Im Rückspiegel sah er, wie Nadine zu ihrem Mann und zu ihren Kindern ging. Sie schien irgendetwas zu ihm zu sagen.
*
Lukas hatte drei Straßen weiter geparkt, direkt am Waldrand. Die Straße war steil und voller Schlaglöcher. Er zog die Handbremse, bis der Hebel fast senkrecht stand, legte den ersten Gang ein und bemerkte, dass seine Stimmung gerade ziemlich beschissen war. Nicht nur wegen Nadine, die (aus Liebe? Aus Verzweiflung? Warum zum Teufel hatte sie das getan?) den großmäuligen Vollpfosten Michael Luckner geheiratet hatte und nun umgeben von Ligusterhecken und elektrischen Windmühlen ihre Lebenszeit absaß. Lukas empfand auch einen fast körperlichen Ekel davor, sich die Waldgebiete nördlich von Rothenbach anzuschauen. Er hatte so gehofft, seine (ohnehin aussichtslose?) Suche nach der dürren Frau auf den Süden beschränken zu können. Und dann kam Yvonne und erzählte ihm, dass sie hier oben etwas gesehen hatte. Wie meinte sie noch gleich? Ach ja … beim Sportplatz. Beim verdammten, beschissenen Sportplatz.
Lukas schlug hart mit dem Handballen gegen das Lenkrad, stieß die Tür auf, schwang sich aus dem Wagen und zündete sich eine Zigarette an. Schon wieder war er kurz davor, einfach nach Freiburg zurückzufahren. Außerdem schmeckte die Zigarette nicht. Okay Lukas … reiß dich zusammen … mach es einfach, geh einfach los und hör verdammt nochmal auf zu grübeln. Jetzt stell dich nicht so an!
Lukas holte tief Luft, schloss sein zerkratztes Auto ab und marschierte los, der Sportplatz war etwa einen halben Kilometer entfernt.
Bevor er sie sah, hörte er schon ihre Stimmen und die dumpfen Tritte gegen den Ball. Vierzehn Jugendliche spielten in zwei Siebenerteams, am Spielfeldrand standen drei ältere Männer mit Karohemden, Bierflaschen und Bierbäuchen. Fünf Minuten schaute Lukas durch den Drahtzaun dem Spiel zu, einer der Spieler schoss zweimal hintereinander an den Pfosten und schüttelte ganz entgeistert den Kopf. Es war keiner unter den Fußballern, den Lukas kannte. Als er vor 16 Jahren aus Rothenbach wegging, da waren das alles noch kleine Kinder.
Lukas wusste, dass ein schmaler, ungepflasterter Weg um den Platz herumführte, direkt am Waldrand entlang. Er setzte sich in Bewegung, fand den Weg und lief an dem hohen, grünen Drahtzaun entlang. Das Spiel war zu Ende und Lukas bemerkte, dass einige der Jugendlichen in seine Richtung schauten. Sie sahen rüber, riefen aber nichts. Ein schriller Pfiff und alle trabten ans andere Ende des Spielfeldes, weg von dem Fremden.
Als Lukas etwa die Hälfte der Längsseite des Platzes geschafft hatte, bemerkte er einen kleinen, steilen Pfad, der in den Wald führte. Er ging den Pfad und erreichte eine kleine, von Bäumen beschattete Lichtung. Der lehmige Boden war platt getreten, es lagen Zigarettenstummel und zerdrückte Bierdosen herum. Lukas glaubte, Urin zu riechen. Ganz leicht nur, vielleicht war es auch nur Einbildung. Uringestank passte einfach zu einem Ort wie diesem.
In einer kleinen, etwas abseits gelegenen Ausbuchtung der Lichtung bemerkte Lukas mehrere weiße Flecken auf dem Boden. Er ging hin und es waren durchweichte Knäuel Toilettenpapier. Und um die Szenerie abzurunden baumelte an einem Ast ein benutztes Kondom, genau in Gesichtshöhe.
Lukas ging von dem Kondom weg, stellte sich mitten auf die Lichtung und verhielt sich ganz still. Nur vereinzelt hörte er entfernte Stimmen und dumpfes Lachen. Dann war auch das weg.
Wahrscheinlich war das hier eine Art Treffpunkt der Dorfjugend, ein Ort, an dem man ungestört rauchen, saufen und möglicherweise vögeln konnte.
Gerade wollte Lukas gehen, seine Runde um den Sportplatz fortsetzen, als er Schritte hörte … Schritte, die näher kamen … mehrere Personen. Kurz überlegte er, sich im Gebüsch zu verstecken, aber sofort kam ihm diese Überlegung albern vor. Zehn Sekunden später kamen vier
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