Die Knochenkammer
er wieder in den Stuhl rutschte. »Niemand hat mir je erzählt, dass das Mädchen vergewaltigt worden ist. Ich weiß nicht, warum du dich da so aufregst.«
»Ich habe nie behauptet, dir davon erzählt zu haben, Richard. Ich hatte keine Ahnung, dass sie von deinen, deinen … Tieren so angetan war«, sagte sie abfällig. Anna war fest entschlossen, sich ihrer engen Beziehung zu Katrina zu rühmen. »Ich wusste nicht einmal, dass du auch außerhalb dieses Zimmers mit ihr zu tun hattest.«
»Du scheinst zu denken, dass du ein Monopol auf ihre Freundschaft hattest, Anna. Sie war in der Tat überrascht, zu erfahren, wie schwach das Met in deinem Spezialgebiet, afrikanischer Kunst, bestückt ist.«
»Ich würde Katrina kaum als Afrikanerin bezeichnen, oder, Elijah? Sie war Holländerin. Burin. Ungefähr genauso primitiv wie Erik.« Anna lachte über ihren Insiderwitz.
»Sind Sie auch Holländer?«, fragte ich Poste. Ich erinnerte mich, dass Ruth Gerst uns erzählt hatte, dass sein Vater ein großer Entdecker und Jäger gewesen war, der Kuratoriumsmitglieder auf Safaris nach Afrika mitgenommen hatte.
»Ja, von Geburt. Aber wir sind hierher gezogen, als ich noch ein Kind war, und ich bin hier aufgewachsen.« Das kleinliche Gezanke der anderen schien ihm peinlich zu sein.
»Was meinte Mr. Socarides damit, als er sagte, dass Ihre Abteilung am Met schwach bestückt ist?«
Anna fuhr fort: »Bis vor kurzem, museumshistorisch gesehen, das heißt, bis in die späten sechziger Jahren hatte das Metropolitan Museum kein Interesse an dem, was wir primitive Kunst nennen. Dieser Bereich war schrecklich unterrepräsentiert. Für die Kuratoriumsmitglieder war es alles eine Art Flughafenkunst - Mayaskulpturen, afrikanische Masken, Ahnenpfähle aus Neuguinea. Erst als Nelson Rockefeller seine gesamte Sammlung dem Museum vermachte, wurden wir auf dem Gebiet wettbewerbsfähig.«
Mamdouba setzte wieder sein unverwüstliches Grinsen auf. »Ah, sag die Wahrheit, Anna! Die meisten eurer verehrten Kuratoriumsmitglieder denken doch heute noch, dass all diese Eingeborenengesichter in unser Museum gehören, hab ich Recht?«
Bellinger und Poste mussten ebenfalls lächeln. Aber Anna fauchte ihn an: »Das sind Kunstwerke, Elijah, genauso kunstvoll gefertigt wie die Skulpturen der alten Griechen. In deinem Museum wären sie nur kulturgeschichtliche Exponate, Totempfähle neben Iglus und Kanus.«
»Gut, dass Timothy Gaylord nicht hier ist«, sagte Socarides. »Er würde in Ohnmacht fallen, wenn er hören würde, dass du diese hängebusigen National-Geographic-Figuren mit seinen wertvollen ägyptischen Skulpturen in einen Topf wirfst.«
Mamdouba neigte den Kopf in meine Richtung. »Das ist ein jahrhundertealter Streit, Ms. Cooper, der wahrscheinlich auch heute nicht gelöst werden wird. Ms. Friedrichs und ich streiten uns oft um Neuerwerbungen. Meine Kollegen und ich glauben, dass die primitiven Objekte in unserer Obhut viel besser aufgehoben sind.«
Friedrichs stand auf und schenkte sich Kaffee nach. Die anderen ordneten ihre Papiere und taten so, als würden sie das Schweigen nicht bemerken.
Mike Chapman versuchte, das Thema zu wechseln. »Ich werde Sie jetzt bitten, einige Wortassoziationen vorzunehmen. Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Gewölbe hören? Was bedeutet es in Ihrer Arbeit oder im Museum?«
Friedrichs wollte nicht mehr mitspielen. Sie sah starr geradeaus und ignorierte die Frage. Ich musste an ihre Verhaftung wegen ungebührlichem Verhalten denken und stellte mir vor, wie sie sich mitten auf der Straße mit ihrem Schild aufpflanzte und die Polizeianweisungen missachtete.
Erik Poste beugte sich vor, die Hand auf der Brust. »Ich denke, ich kann Ihnen die Definition geben, Detective. Es ist ein architektonischer Begriff, der ziemlich häufig in Gemälden veranschaulicht wird. Als wir Sie im Untergeschoss des Met herumgeführt haben, haben Sie Gewölbebereiche gesehen. Ein Gewölbe ist ein Dach, bestehend aus einer Reihe von Bögen, die strahlenförmig von einem zentralen Punkt ausgehen.«
»Wir Mediävisten nennen die Grabkammern Gewölbe. Sie befanden sich meistens unter Kirchen und Kathedralen«, sagte Bellinger.
»Komisch. Ich denke dabei an etwas ganz anderes«, sagte Socarides. »Das sind unsere Lagerräume. Meine ganze Knochensammlung lagert in Stoßzahngewölben und Ebergewölben und Spitzmausgewölben. Aber Erik ist der Experte für Museumsgeschichte. Er ist in Museen aufgewachsen - es liegt ihm im Blut.«
Ich dachte
Weitere Kostenlose Bücher