Die Knochenkammer
streifte, tastete ich weiter oben nach dem kühlen Stahlgerüst des Regals. Zentimeter um Zentimeter bewegte ich mich so vorwärts und erschrak plötzlich, als ich an ein Glasgefäß stieß, das wiederum gegen einen anderen Gegenstand rumpelte.
Verdammt! Ich blieb stehen. Wie Dominosteine stieß ein Glas ans nächste, bis eines umfiel und zerbrach. Die giftige Flüssigkeit ergoss sich auf den Boden und setzte nicht nur einen üblen Geruch frei, sondern auch die Tiere, die darin eingelegt gewesen waren.
Jetzt überkam mich Panik. Ich blickte nach oben. In den Wandregalen über mir standen Dutzende von Einmachgläsern. Die einzige Lichtquelle in dem Raum war das pinkfarben schimmernde Färbemittel, das Skelettteile von irgendwelchen prähistorischen, nicht näher identifizierbaren Krabbeltieren im Dunkeln zum Leuchten brachte.
Ich machte einen Schritt nach vorne und wäre beinahe auf der glitschigen Substanz aus den zerbrochenen Gläsern ausgerutscht. Noch zwei Schritte, und ich hörte ein Knirschen unter meinem Absatz, als ob ich auf die harte Schale eines Insekts getreten wäre. Erneut geriet ich auf dem schleimigen Untergrund ins Rutschen und griff nach dem Regal, um mich festzuhalten. Das auf Rädern befindliche Regal wackelte wie wild, während meine Insektenphobie immer stärker wurde.
Ich klammerte mich mit der rechten Hand an dem Metallregal fest und streckte meine linke Hand nach der Tür aus. Ich packte den Türknauf und zog mit beiden Händen fest an. Die Tür gab nicht nach. Ruhig bleiben, sagte ich mir. Sie hatte sich auch von außen schwer öffnen lassen, also klemmt sie wahrscheinlich bloß wieder. Ich zog mit aller Kraft, aber meine Hände waren feucht. Der Knauf ließ sich keinen Millimeter bewegen.
Ich tastete neben der Tür nach einem Lichtschalter. Nichts. In dem Raum gab es keine Frischluft, und irgendein blindes Fossil mit einer rauer Schnauze und einem schlangenähnlichen Körper starrte mir direkt ins Gesicht und forderte mich auf, uns beide aus dieser klaustrophobischen Zelle zu befreien.
Ich klopfte meine Jacken- und Hosentaschen nach meinem Handy ab und schaltete es ein, aber ich hatte hier unten keinen Empfang. Ich versuchte mit Hilfe meines Kugelschreibers das Türschloss zu öffnen, aber es war viel zu alt und zu eingerostet. als dass es nachgegeben hätte.
Mich langsam rückwärts tastend, trat ich ein paar Schritte von der Tür zurück und rief Mikes Namen. Ich schrie, so laut ich konnte, und trat gegen die Tür, wie es Shirley Denzig die Nacht zuvor vor meiner Tiefgarage getan hatte. Dann war ich still und lauschte auf Schritte, aber ich bezweifelte, dass mich Mike durch die dicken Wände hindurch gehört hatte.
Die Dämpfe von der freigesetzten Flüssigkeit verbreiteten sich in dem Raum. Nicht schwindlig werden, sagte ich mir. Ich wollte auf keinen Fall da unten auf dem Boden liegen, zusammen mit dem, was aus dem großen Glas getropft war.
Ich drehte mich um und spähte zur gegenüberliegenden Seite des Raums. In dem gespenstischen, pinkfarbenen Leuchten konnte ich oben an der Wand ein kleines quadratisches Fenster erkennen, das womöglich auf einen Innenhof hinausging. Es hing ein Rollo davor, und es war zu winzig, als dass ich hätte hindurchklettern können, aber wenn ich es einschlagen könnte, würde ich etwas Luft haben und vielleicht würde jemand meine Schreie hören.
Da hörte ich, wie hinter mir am Türknauf gerüttelt wurde. Ich wirbelte herum, ging auf die Tür zu und schrie wieder, so laut ich konnte, Mikes Namen. Nichts. Hatte ich mir das Geräusch nur eingebildet?
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn, aber der Gedanke hatte sich bereits in meinem Gehirn festgesetzt: Was, wenn es kein Unfall war? Was, wenn wir den Mörder mit unserem abendlichen Besuch überrascht hatten? Was, wenn er - oder sie - mich hier eingesperrt hatte und zurückgegangen war, um Mike noch Schlimmeres anzutun? Was, wenn Mike nie kam, um mich hier herauszuholen?
Ich wollte mich mit dem Rücken an das Regal lehnen, aber ich stieß stärker dagegen, als ich beabsichtigt hatte. Es schaukelte und wackelte, und die kleinen Gläser auf meiner Seite wirbelten quer durch den Raum. Das Regal kippte, und alles, was darauf gestanden hatte, fiel zu Boden.
Die Glasgefäße zerbrachen in tausend Stücke und verteilten ihren Inhalt über den ganzen Boden. Der Gestank war unerträglich, und ich hustete und würgte angesichts der aufsteigenden Dämpfe, die sich in Rachen und Nase bohrten. Ich
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