Die Knochenkammer
Wir zeigten dem Wachmann unsere Dienstmarken und sagten ihm, dass sich Mercer draußen kurz mit einem anderen Detective treffen würde, aber gleich wieder zurück sein würde.
Der Mann lümmelte, die Baseballkappe in die Stirn gezogen und den Blick unverwandt auf ein Sciencefiction-Heft gerichtet, in seinem Stuhl. Auf den kleinen Schwarzweißmonitoren neben ihm sah man die Ein- und Ausgänge in den Innenhöfen hinter uns. In der hereinbrechenden Dämmerung war es noch schwieriger, die grauen Wände der angrenzenden Gebäude voneinander zu unterscheiden. Ich überlegte, ob ich ihn ablenken und mit ihm plaudern sollte, für den Fall, dass er Clem von früher kannte, aber er beachtete mich ebenso wenig wie die Monitore, die er im Auge behalten sollte. Ich wandte ihm den Rücken zu, um mich zu vergewissern, dass der lange, hohe Korridor nach wie vor leer war. Auf Grund der schwachen Beleuchtung musste ich blinzeln, um überhaupt bis ans andere Ende sehen zu können, aber in dem hohen Raum würde man mit Sicherheit Schritte hören, falls jemand näher kam.
Minuten später kamen Mercer und Clem auf die Tür zugelaufen. Der Wächter, der in Geschichten von Außerirdischen und Weltraumkapseln vertieft war, war dankbar, als ich ihm sagte, dass ich meinem Partner die Tür aufmachen würde und seine Hilfe nicht brauchte. Er winkte mit der Hand und las weiter. Mercer und ich nahmen unseren zierlichen Schützling zwischen uns, gingen flott zu den Aufzügen und verschwanden aus dem Blickfeld des Wächters.
Kurz bevor wir unseren kleinen Weichtierraum erreichten, ließ ich Mercer und Clem am Ende des Flurs zurück und schlich zu Mamdoubas Ecktürmchen. Ich konnte hinter der verschlossenen Tür Stimmen hören und winkte die beiden in unser Zimmer, dann folgte ich ihnen und schloss die Tür hinter mir. Wir machten Platz, damit Clem sich in dem kleinen Raum auch noch irgendwo hinsetzen konnte. Die kurze Pause hatte ihr gut getan. Sie hatte geduscht und sich einen kleinen Imbiss aufs Zimmer bringen lassen.
»Wird Ihnen das fürs Erste genügen?« Sie kippte den Inhalt einer kleinen Einkaufstüte aus. »Ich hoffe, die Stadt kann es sich leisten. Es war alles auf dem Zimmer, und ich habe mir gedacht, dass Sie vielleicht Hunger bekommen werden.«
Ich lachte, während Mike das Pistazienglas und Mercer ein paar Schokoriegel nahm. Ich öffnete die Tüte M&Ms und trank ein paar Schluck aus einer Coladose, die wir uns teilten. Die Scotch- und Wodkafläschchen aus der Minibar hoben wir uns für später auf.
»Das nenn ich Köpfchen. Ich dachte schon, ich müsste Käfer essen. Kommen Sie«, sagte Mike und breitete die zerknitterten Grundrisse aus, mit denen er sich mittlerweile vertraut gemacht hatte. Er zeigte auf die Kellerbereiche um die Ausstellungsbüros herum. »Machen Sie sich nützlich! Können Sie uns sagen, was in diesen Räumen aufbewahrt wird?«
Sie erzählte uns von einigen der Räumen, in denen sie gearbeitet hatte, und deutete mit einem Stift auf den Plan. »Es täuscht. Sehen Sie das hier? Das ist eine Trennwand zwischen zwei Gebäuden. Auf der Hauptebene sind sie miteinander verbunden, aber hier unten kann man nicht von hier nach dort gelangen.«
»Vielleicht sollten wir uns dort mal umschauen«, sagte ich. »Wir werden einen besseren Eindruck bekommen, wie wir weiter vorgehen sollen und was genau wir angeben müssen, wenn wir den Durchsuchungsbeschluss aufsetzen.«
»In Ordnung. Mercer soll hier bei Clem bleiben und mit ihr die Räume durchgehen. Findet heraus, wo die Knochen sind! Und wir zwei schauen uns diesen Teil des Kellergeschosses an. Mal sehen, ob noch jemand da ist.«
Ich hörte, wie Mercer die Tür hinter uns abschloss. Wir blieben einen Augenblick stehen und lauschten der schrillen Frauenstimme, die aus Mamdoubas Vorzimmer kam. Ich konnte nicht erkennen, ob es Eve Drexler, Anna Friedrichs oder die Assistentin des Kurators war, die noch Überstunden machte.
Mike und ich fuhren mit dem Aufzug hinunter in die Lobby. Die Blicke Dutzender wilder Tiere, die in ihren Dioramen sicher gefangen waren, schienen uns den riesigen Korridor hinunter zu folgen, der von der südwestlichen Ecke des Museums zur Treppe zum Untergeschoss führte, die wir von unseren früheren Besuchen kannten.
Clem hatte Recht. Bei Nacht war es unheimlich hier unten. Auf jede Kurve und jeden Richtungswechsel folgte ein winziger Raum der bestenfalls spärlich beleuchtet war. Elegante Artdeco-Kugellampen, die an Messingketten von der Decke
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