Die Knochenkammer
Jedes Kunstmuseum hat einen erstaunlich großen Vorrat an tödlichen Giften. Lauge und Bleiweiß und Arsen ergeben brillante Farben, aber ein lausiges Essen, und sie finden sich wahrscheinlich in den Pigmenten eines jeden Künstlers, der etwas auf sich hält.« Kestenbaum wandte sich an Chapman. »Ich habe ihre Klamotten in eine Tüte getan, Mike.«
Er warf jedem von uns ein Paar Latexhandschuhe zu und deutete auf einen Haufen brauner Papiertüten am anderen Ende des Tisches.
Ich stand auf und holte aus der ersten einen BH hervor. Er war alt und abgewetzt, und das Etikett war vom häufigen Waschen ausgebleicht. Es war eine kleine Größe. In der zweiten Tüte war der Slip der Toten. Wie der BH war auch er alt, abgewetzt und leicht gräulich.
Die dritte Tüte enthielt eine Damenhose Größe 34 aus grober Plaidwolle. Die Hosenaufschläge waren abgewetzt, und am Gesäß waren Fusseln. Die Marke war die eines billigen Versandhauses.
In der vierten Tüte war ein Damenpullover mit engem, rundem Halsausschnitt. »Was ist so faszinierend, Coop?«
»Der gehört nicht der gleichen Frau, die die anderen Stücke gekauft hat.«
»Wie das?«
»Erstens ist er aus Kaschmir. Zweitens hat er nicht ihre Größe.« Ich hielt den Pullover hoch. Er war viel zu groß für die zierliche Grooten.
»Und drittens ist das Etikett von einem der teuersten Läden auf der Madison Avenue. Wo ist Ihre Polaroidkamera?«
Kestenbaum deutete auf die Tür. »Nach rechts den Gang hinunter, in der Abstellkammer.«
»Geben Sie alle diese Sachen ins Labor, aber ich möchte den Pullover überprüfen. Vielleicht können wir herausfinden, ob sie ihn selbst gekauft oder ob ihn ihr jemand geschenkt hat.« Ich reichte ihn Mike, damit er ihn fotografieren und das Kabelmuster sowie den Kragen- und Manschettenstil skizzieren konnte. Der Pullover war nicht von der Stange. Ich bezweifelte, dass von diesen zartpfirsichfarbenen Strickpullovern viele Stücke verkauft worden waren.
»Der hier kostet wahrscheinlich über fünfhundert Dollar.«
»Von dem Gehalt einer Museumspraktikantin? So viel hat wahrscheinlich meine gesamte Garderobe bis zu meinem dreißigsten Lebensjahr nicht gekostet«, sagte Mike.
Kestenbaum nahm einen weißen Briefumschlag von seinem Schreibtisch. »Sie werden das hier auch sicherstellen wollen. Ich fand es in einer ihrer Hosentaschen. Vielleicht sagt Ihnen das, wo Ms. Grooten ihre Habseligkeiten gelassen hat, als sie zu ihrem letzten Essen aufbrach.«
Ich machte den Umschlag auf und nahm ein quadratisches, circa drei auf drei Zentimeter großes rotes Ticket mit der Nummer 248 heraus. Es sah aus wie eine Garderobenmarke, von einer Garderobe irgendwo zwischen dem Leichenschauhaus und Kairo.
»Siehst du irgendwelche Hessen?«, rief Mike Chapman Mercer Wallace zu, der an einer massiven Granitmauer lehnte, die die Klostergruppe umfasste, die vor einem Dreivierteljahrhundert aus Europa gebracht und auf diesem felsigen Kliff wieder aufgebaut worden waren. Es war kurz nach zwölf Uhr mittags an einem sonnigen Maitag, und wir gingen die Kreisauffahrt hinauf zu Mercer, der von seinem Standpunkt aus den Hudson River überblicken konnte.
»Freunde, wir befinden uns hier auf dem höchstgelegenen Stück Land auf der Insel Manhattan, erreichbar mit der tiefsten U-Bahn der Stadt - nicht dass du dir jemals über öffentliche Verkehrsmittel Gedanken machen würdest, Coop«, fuhr Mike fort. »Die Briten hätten es beinahe in der Außenposten-Affäre verloren.«
Mercer drehte sich um, um der Militärgeschichte dieses außergewöhnlichen Fleckens Land am nördlichen Ende Manhattans zuzuhören. Seine riesige Gestalt hob sich gegen den breiten Fluss unter ihm ab.
»General Washington verließ hier die Garnison und zog nach Norden, während Cornwallis diesen Ort von Kriegsschiffen, schottischen Hochländern, britischen Truppen und Hessen umzingeln ließ. Sie eroberten das Fort, töteten die Mehrzahl der Amerikaner und bezogen hier ihr Lager, bis diese Anhöhe wieder befestigt war. Deshalb wurde das Long-Hill-Vorwerk nach William Tryon umbenannt, dem letzten englischen Gouverneur von New York.«
Das Cloisters-Museum stand auf einer atemberaubenden Anhöhe im Fort-Tryon-Park, dem letzten der von Frederick Law Olmsted gestalteten Stadtparks. John D. Rockefeller hatte der Stadt die Gebäude und über sechzig Morgen Land mit gepflasterten Wegen, Terrassen und felsigem Terrain gestiftet, von der Stelle, wo die alten Schutzwälle des ursprünglichen Forts
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