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Die Knochenkammer

Titel: Die Knochenkammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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eine bizarre Messingfigur in die Hand zu nehmen, »war eines von Katrinas Lieblingsstücken.«
    »Was ist das?«
    »Ein Aquamanile. Die Priester wuschen sich während des Gottesdienstes die Hände darin. Das hier ist ein Wyvern.«
    »Ein was?«
    »Ein zweibeiniger Drache. Sein Schwanz biegt sich über seine Flügel und bildet den Henkel.« Er ließ seinen Blick über die Menagerie schweifen. »Zweiköpfige Adler, Teufelshelfer mit Klumpfüßen, Löwen, die von Affen gebändigt wurden, Harpyein, die mit ihren Engelsgesichtern und ihrer gekünstelten Musik die Seeleute in den Tod lockten. Katrina liebte diese Fabelwesen.«
    »Also, wann haben Sie die Projektkoordination für die Ausstellung übernommen?«
    »Nachdem Katrina Ende letzten Jahres kündigte.«
    »Hat es Sie denn eigentlich nicht überrascht, dass sie kündigte, wenn ihr die Arbeit hier angeblich so großen Spaß machte?«
    »Ich habe gelernt, nicht zu viel emotionale Energie in Beziehungen zu Studenten zu investieren. Sie bleiben normalerweise nur für kurze Zeit, bevor sie wieder an die Uni gehen und ihren Doktor machen. Außerdem ist es hier einfach nicht aufregend genug für sie. Katrina hatte wenigstens einen triftigen Grund. Ich meine, was sollte ich schon sagen, nachdem sie mir erzählt hatte, dass sie vergewaltigt worden war?«
    Mercer und ich sahen uns an. »Wann genau hat Sie Ihnen davon erzählt?«
    »Nicht sofort. Erst etwa einen Monat später. Aber die ganze Sache belastete sie stärker, als sie erwartet hatte. Es begann, sich auf ihre Arbeit und sogar auf ihre Beziehungen zu den Leuten hier auszuwirken.«
    »Und deshalb hat sie Ihnen von der Vergewaltigung erzählt?«
    »Ja, im Vertrauen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Ich zeige Ihnen, wo sie gearbeitet hat, Ms. Cooper. Dieses Museum ist eine Abfolge von Kapellen, Gärten und Arkaden. So schön es auch ist, mit seinen grotesken Statuen und Totenbildnissen überall kann es auch sehr gespenstisch sein. Wir haben nicht denselben starken Besucherandrang wie das Met. Es kann ziemlich - wie soll ich sagen? - unheimlich sein hier oben, vor allem nachts, wenn man allein hier ist. Ich glaube, Katrina ist vor ungefähr einem Jahr vergewaltigt worden, oder?«
    »Im Juni.«
    »Nun, eines Nachts im August, während sie allein an einer Skizze eines steinernen Ungeheuers in der Langon-Kapelle arbeitete, wurde sie von einem der Sicherheitsdienstleute erschreckt, der wie üblich seine Runde drehte. Sie hatte ihn wohl nicht kommen hören, und als sie aufsah, stand er vor ihr. Sie stieß einen Schrei aus und jagte ihm einen ebenso großen Schrecken ein wie er ihr.«
    »Hat sie ihn denn nicht erkannt?«
    »Das ist es ja gerade. Er hatte die Uniform ausgezogen, weil seine Schicht zu Ende war, und war zurückgekommen, um ein letztes Mal nach dem Rechten zu sehen. Katrina hatte ihn noch nie in Jeans und T-Shirt und mit einer Baseballmütze auf dem Kopf gesehen. Sie hat ihn nicht gleich erkannt. Am nächsten Morgen wartete sie schon bei Tagesanbruch hier auf mich, um mir zu erklären, was passiert war.«
    »Warum?«
    »Sie wollte kündigen. Sie fühlte sich furchtbar schuldig. Der Mann war Afroamerikaner, und sie wusste, dass sie ihn durch ihre ängstliche Reaktion schrecklich beleidigt hatte. An dem Tag hat sie mir erzählt, dass sie vergewaltigt worden war. Und wie sehr sie sich schämte, weil sie jedes Mal, wenn sie ein fremdes schwarzes Gesicht sah, furchtsam reagierte und Angst hatte, dass es ihr Vergewaltiger war.«
    Diese Reaktion war nur allzu normal. Wenn die Täter nicht gefasst werden konnten, empfanden die Opfer eine verallgemeinerte, sogar ihnen selbst irrational erscheinende Angst, dass ein Fremder, der derselben Rasse angehörte wie der Vergewaltiger, der Täter sein könnte. Sie wussten, dass er irgendwo da draußen war, und sie erschraken beim Anblick eines jeden, den sie nicht kannten.
    »Hat sie Ihnen gesagt, ob sie ihren Vergewaltiger identifizieren konnte?«
    »Ihrer Aussage nach hat er eine Skimaske getragen. Deshalb war sie ja so nervös. Katrina hatte keine Ahnung, ob der Vergewaltiger jemand war, den sie kannte oder nicht. Sie hatte nur seine Hände und seinen Nacken deutlich gesehen. Der arme Lloyd war noch mal in die Kapelle zurückgegangen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, und erschreckte sie beinahe zu Tode.«
    »Hat sie gekündigt?«
    Bellinger antwortete mit leiser Stimme. »Ich ließ es nicht zu. Ich bat sie, mir von der Vergewaltigung zu erzählen. Ich sprach

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