Die Knochenleserin
Kistle hat diese Männer getötet, um ihr unter die Nase zu reiben, dass ihre Bemühungen sinnlos sind und ihretwegen Menschen sterben müssen.« Gott, ihm graute davor, Eve von diesen Botschaften zu berichten. Obwohl sie sich schon seit Jahren mit getöteten Kindern beschäftigte, hatte ihre Arbeit sie nicht abgestumpft. Eve war stark, aber ihre Sensibilität war sowohl ihre Stärke als auch ihre Schwäche. Und diese Zerbrechlichkeit wusste er ebenso zu schätzen wie ihre Ehrlichkeit und ihre Intelligenz.
»Sie haben ihr nicht erzählt, was in dem Treibsand passiert ist.«
»Das werde ich noch tun.« Er sah Dodsworth in die Augen. »Und wenn Sie versuchen sollten, ihr davon zu berichten, bevor ich Gelegenheit dazu habe, werde ich verdammt ungemütlich, Dodsworth.«
»Soll das eine Drohung sein?«
»Betrachten Sie es, wie Sie wollen. Sehen Sie einfach zu, dass Sie Eve nicht mehr verwirren als unbedingt nötig.« Er stieg aus dem Streifenwagen. »Welches ist das beste Hotel in der Stadt?«
»Wir haben hier ein sehr nettes in der Spruce Avenue, das Brown Hotel.«
»Ich werde Zimmer für Eve und meine Adoptivtochter Jane MacGuire reservieren. Für beide möchte ich Polizeischutz. Rund um die Uhr.«
»Ist das wirklich nötig? Sie haben doch selbst gesagt, dass es sich bei Kistle vermutlich um einen Kindermörder handelt.«
»Er hat zwei Ihrer Deputies getötet und zuvor Ihren Sheriff erstochen. Kistle scheint derzeit zu allem fähig. Ich möchte, dass Eve –« Sein Handy klingelte. »Quinn.«
»Les Braun. Was zum Teufel haben Sie da oben zu suchen, Joe?«
Joe war völlig überrascht. Les Braun war Agent der FBI-Dienststelle von Atlanta, und Joe hatte in der Vergangenheit häufiger mit ihm zusammengearbeitet, aber in letzter Zeit kaum Kontakt zu ihm gehabt. »Was glauben Sie denn, was ich hier tue?«
»Uns jede Menge Schwierigkeiten bereiten. Wir sind ohnehin schon dünn besetzt, da müssen wir nicht auch noch in diesen Fall reingezogen werden.«
»Ich hab Sie da nicht reingezogen.«
»Nein, Sie haben dafür gesorgt, dass Venable und seine Freunde von der CIA bei unserem Chef Süßholz raspeln und mit ihm Deals aushandeln. Okay, Sie kriegen, was Sie haben wollen. Agent Cassidy aus St. Louis ist unterwegs nach Bloomburg. Der Chef überlässt Cassidy die Entscheidung, ob wir uns einschalten sollen. Ich habe ihm Ihre Nummer gegeben, und er wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen, sobald er eintrifft. Meine Dienststelle wird Ihnen jede erdenkliche Unterstützung anbieten, falls Cassidy zu dem Schluss kommt, dass wir gebraucht werden. Wer ist der Kontaktmann der Polizei vor Ort?«
»Charles Dodsworth. Kommissarischer Sheriff.«
»Ich werde ihn anrufen und Cassidy den Weg ebnen. Kleinstadtcops sind nicht scharf auf unsere Einmischung.«
»Großstadtcops ebenso wenig.«
»Verdammt noch mal, Joe. Vor Jahren waren Sie selbst beim FBI«.
»In meinem früheren Leben. Kooperation ist großartig, aber Einmischung nervt.«
»Wie auch immer, Sie haben uns erst mal am Hals. Außerdem gefällt es Cassidy genauso wenig wie Ihnen. Man hat ihn von einem Fall abgezogen, an dem er die letzten sechs Monate gearbeitet hat. Bis bald.« Er legte auf.
Joe wandte sich an Dodsworth. »FBI-Agent Cassidy wird sich mit Ihnen in Verbindung setzen. Er wird sich ein Bild von der Situation hier machen.«
Dodsworth runzelte die Stirn. »Sie haben das FBI eingeschaltet?«
»Ich war’s nicht.« Joe hatte keine Ahnung, woher zum Teufel Venable etwas von Kistle wusste, und noch weniger, warum er Druck auf das FBI ausgeübt hatte. »In jedem Fall sind sie an dem Fall dran.«
Dodsworth nickte langsam. »Ich bin froh darüber.«
Joe hob die Augenbrauen. »Wirklich?«
»Haben Sie vielleicht gedacht, ich würde denen sagen, sie sollen sich zum Teufel scheren? Verdammt, ich bin bloß ein einfacher Deputy, egal wie man mich nennt. Ich fühle mich völlig überfordert. Ich hatte das Kommando, als heute Nacht zwei Männer gestorben sind. Ich trage dafür die Verantwortung. Ich will, dass Kistle dingfest gemacht wird, bevor er noch jemanden tötet. Das FBI verfügt über den technischen Apparat und alle möglichen Datenbanken, die uns nützlich sein können, oder?«
»Richtig.« Er schwieg einen Augenblick lang. »Aber vielleicht erinnern Sie sich noch daran, dass all das Personal und der ganze Technozauber nichts genützt haben, als man versucht hat, Eric Rudolph in North Carolina zu stellen. Er war zwei Jahre auf freiem Fuß, obwohl eine
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