Die Knochenleserin
ganze Armee von Agenten hinter ihm her war. Wenn einer sich in den Wäldern auskennt, dann gelten nur noch die Gesetze der Natur. Kistle könnte Monate durchhalten.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich war bei den SEAL-Leuten der Navy. Ich habe unter schlimmeren Umständen als in einem Wald überlebt, in dem Leute hinter mir her waren.« Er wechselte das Thema. »Reden Sie mit der Witwe Ihres Sheriffs und versuchen Sie ein bisschen Schlaf zu bekommen. Sie werden ihn brauchen, wenn Cassidy und seine Agenten erst hier auftauchen.«
»Es gefällt Ihnen nicht, dass sie herkommen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht nützt es was. Vielleicht sind sie auch nur hinderlich.« Joe wandte sich ab und begann, eine Nummer auf seinem Handy zu wählen. »Aber es gefällt mir gar nicht, dass Venable sich einmischt, ohne mich zu fragen. Ich muss unbedingt mit ihm reden.«
Tageslicht.
Die Dunkelheit bot mehr Sicherheit. Die Dunkelheit war sein Element, dachte Kistle.
Sollte er noch mehr Leute töten, um zu beweisen, dass er auch am helllichten Tag dazu fähig war? Diese Hinterwäldler würde er völlig unvorbereitet erwischen und ihnen einen gewaltigen Denkzettel verpassen.
Nein, mit den beiden Morden am Sumpf hatte er bereits für genügend Schrecken gesorgt. Er konnte es sich leisten, jetzt in aller Ruhe seinen nächsten Schachzug zu planen.
Haben sie dir schon gesagt, was ich für dich getan habe, Eve?
Nicht jede Frau hat Macht über Leben und Tod.
Nun ja, über Leben vielleicht nicht. Aber über Tod auf jeden Fall.
Kommst du her? Natürlich kommst du.
Ich muss mich jetzt erst einmal ausruhen und dann entscheiden, was ich tun kann, um dich willkommen zu heißen.
Eve sah Joe sofort, als sie aus dem Flugzeug stieg.
Er küsste sie hastig und wenig sanft und nahm Jane in die Arme. »Ihr hättet beide nicht kommen dürfen. Eve ist besessen, das ist klar, aber damit kannst du dich nicht herausreden, Jane.« Er nahm ihre Taschen und steuerte auf den Ausgang zu. »Was glaubt ihr denn, was ihr hier machen könnt? In den Wald ziehen und den Scheißkerl jagen?«
»Wäre immerhin eine Überlegung wert«, murmelte Jane.
»Eine lächerliche Überlegung«, erwiderte Joe barsch. »Wenn Kistle euch nicht erschießt, dann tut es einer dieser schießwütigen Deputies. Sie sind total nervös.«
»Ich habe nicht vor, auf die Jagd zu gehen«, sagte Eve. »Ich möchte einfach nur in der Nähe sein, wenn Kistle gefasst wird.« Etwas, das er gesagt hatte, machte sie stutzig. »Warum sind denn die Deputies so nervös?«
»Weil sie es nicht gewohnt sind, mit solchen Widerlingen wie Kistle zu tun zu haben.« Er öffnete die Tür des gemieteten SUV und verstaute ihre Taschen. »Sie sind alle entsetzt und stinkwütend auf ihn, und dachten, sie könnten ihn innerhalb von ein paar Stunden erwischen. Jetzt haben sie wahrscheinlich auch noch Angst, versuchen aber, es sich nicht anmerken zu lassen.«
»Es ist doch erst ein Tag vergangen«, sagte Jane. »Und Kistle ist derjenige, der auf der Flucht ist. Da muss doch noch keiner Angst haben.« Sie musterte Joes Gesichtsausdruck. »Oder doch?«
»Frag sie.« Joe ließ den SUV an und setzte rückwärts aus der Parklücke. »Die werden schon ihre Gründe haben.«
»Und du ebenfalls«, sagte Eve. »Was geht hier vor, Joe?«
»Ich habe für euch Zimmer im Brown Hotel reserviert«, sagte Joe. »Das befindet sich vier Straßenecken von hier. Dodsworth hat es empfohlen.«
»Joe.«
»Und im Laufe des Tages werden noch ein paar FBI-Leute zur Unterstützung eintreffen. Bis heute Abend wimmelt es im Wald vor Agenten.«
»Und freut dich das nicht?«
»Nein.« Seine Mundwinkel zuckten. »Schon das Riesenaufgebot vor Ort macht mich nervös. Das FBI kann erheblich effizienter und tödlicher sein. Aber ich will nicht, dass Kistle stirbt, bevor er dir gesagt hat, was du wissen willst. Ich will verflucht sein, wenn Bonnie uns noch den Rest unseres Lebens verfolgt.«
Schockiert von seinem schroffen Ton sah Eve ihn an. »Sie muss dich nicht verfolgen, Joe. Das ist mein Problem.«
»Nein, das ist es nicht.« Er bog auf den Parkplatz des Hotels ein. »Was du empfindest, fühle ich auch. So ist das nun mal.« Er stieg aus, öffnete die Wagentüren und reichte ihnen ihre Taschen. »Ich rufe euch später an. Ich fahre zum Clayborne Forest.« Er schaute Jane an: »Pass auf sie auf.«
Jane nickte. »Immer.« Sie sah von Eve zu Joe und ging dann zum Eingang. »Ich checke uns ein, Eve, und frage nach unserer
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